Nach dem Fall Bagdads gerät jetzt die irakische Nordfront ins Wanken. Irakische Truppen seien am Donnerstag an fast allen nördlichen Frontabschnitten zurückgewichen, berichtete der US- TV-Sender CNN. Kriegsreporter mehrerer Medien meldeten die Besetzung der nordirakischen Öl-Förderstadt Kirkuk durch kurdische Milizen - unterstützt von amerikanischen Spezialeinheiten. In Bagdad gab es zu Beginn der vierten Kriegswoche nur noch vereinzelt Kämpfe.
Verletzte und Tote vor dem Palestine-Hotel
Bei einem Selbstmordangriff im Nordosten von Bagdad wurden vier US-Soldaten verletzt. Ein Mann habe sich am Abend im Schiiten-Viertel Saddam-City mit am Körper verstecktem Sprengstoff den Soldaten genähert und sich in die Luft gesprengt, sagte US-Hauptmann Joe Plenzler in Bagdad. Auf die Frage, wie viele US-Soldaten ums Leben gekommen seien, antwortete ein US-Offizier: "Einige sind bei dem Anschlag getötet worden, ich weiß nicht wie viele." Der Anschlag habe sich nördlich dem Hotel "Palestine" im Zentrum der irakischen Hauptstadt ereignet. In dem Hotel haben sich viele ausländische Journalisten einquartiert, die über den Irak-Krieg berichten. Ein Reporter des US-Senders CNN hatte zuvor berichtet, bei einem Selbstmordanschlag seien vier US-Soldaten schwer verletzt worden.
Zitat
"Saddam Hussein und sein Regime haben den Reichtum des Landes ausgebeutet. Während viele von Ihnen in Armut lebten, lebten sie im Luxus. Er wurde zu einem der reichsten Männer der Welt, mit Geld, das er Ihnen gestohlen hatte, dem irakischen Volk. Das Geld aus irakischem Öl wird Ihnen gehören. Es wird verwendet werden, um Wohlstand für Sie und Ihre Familien zu schaffen." Englands Premierminister Tony Blair in einer Fernsehansprache an das irakische Volk
Fernsehansprachen
US-Präsident George W. Bush und der britische Premier Tony Blair wandten sich am Donnerstag in Fernsehansprachen an das irakische Volk. "Der Albtraum, den Saddam Hussein über Ihre Nation gebracht hat, wird schon bald zu Ende sein", sagte Bush. "Wir werden Ihnen helfen, eine friedliebende und repräsentative Regierung aufzubauen ... Und dann werden unsere Streitkräfte abziehen."
Das Schicksal des 65-jährigen Saddam blieb auch am 22. Kriegstag ungewiss. Gerüchten zufolge könnte er in seine Heimatstadt Tikrit im Norden oder in die Kleinstadt Bakuba bei Bagdad geflüchtet sein.
Schiitenführer ermordet
In einer Moschee im zentralirakischen Wallfahrtsort Nadschaf wurde der moderate irakische Schiitenführer Abdel Madschid el Choei nach Angaben seiner Anhänger ermordet. Wie ein Sprecher der in London ansässigen el Choei-Stiftung am Donnerstag der BBC berichtete, wurde der Geistliche in der Imam Ali-Moschee, eine der heiligsten Stätten für schiitische Muslime, von mehreren Männern mit Messern angegriffen und getötet. El Choei war nach diesen Angaben erst vor zwei Wochen aus zwölfjährigem Londoner Exil in die Heimat zurückgekehrt.
Kein Widerstand in Kirkuk
Bei ihrem Einmarsch in Kirkuk seien die kurdischen Milizen und US-Spezialeinheiten nicht auf Widerstand gestoßen, berichteten CNN, der britsche Sender BBC und der türkische Nachrichtensender NTV. Eine NTV-Reporterin sagte: "Es gibt keine Gefechte, keinen Widerstand." Die Peschmerga (kurdische Kämpfer) seien in der überwiegend von Kurden bewohnten Stadt mit Jubel empfangen worden.
Powell beruhigt Türkei
US-Außenminister Colin Powell sicherte nach türkischen Angaben zu, dass US-Soldaten die Stadt unter ihre Kontrolle bringen werden. Ankara hatte mehrfach gewarnt, die Ölfelder von Kirkuk und Mosul dürften nicht unter den Einfluss der irakischen Kurden geraten. Für diesen Fall hatte sich die Türkei den Einmarsch eigener Truppen vorbehalten. Innerhalb der nächsten Stunden schicke die USA Luftlandetruppen in die Stadt, sagte der türkische Außenminister Abdullah Gül am Donnerstag nach einem Telefongespräch mit Powell. Kirkuk mit rund einer halben Million Einwohner ist eines der großen Zentren der Ölförderung im Norden. Dort sind jetzt Mosul und Tikrit die einzigen größeren Städte, die noch in den Händen von Anhängern des Saddam-Regimes sind.
"Saddam Hussein hat den Reichtum Ihrer Nation geplündert", sagte Blair in der Fernsehansprache. "Während viele von Ihnen in Armut lebten, umgab er sich mit Luxus. Er wurde einer der reichsten Männer der Welt, mit dem Geld, das er dem irakischen Volk stahl. Das Geld aus dem irakischen Öl wird Ihnen gehören."
Irakische Gegenwehr in Tikrit?
CNN meldete am Donnerstag die bisher schwerste Bombardierung irakischer Stellungen im Norden des Landes. Erstmals würden dort größere US-Panzerverbände eingesetzt. Auch Tikrit wurde aus der Luft angegriffen. Militärexperten rechnen vor allem dort noch mit größerer irakischer Gegenwehr.
Deutsche Botschaft geplündert
In Bagdad sei die Lage relativ ruhig, berichteten dpa- Korrespondenten. Allerdings gebe es überall Plünderungen. So sei die deutsche Botschaft völlig ausgeräumt worden. Fast alle Geschäfte seien immer noch geschlossen und nur wenige Menschen auf den Straßen. Die US-Truppen verstärkten laufend ihre Einheiten in der Stadt und weiteten ihre Kontrollen Straße um Straße aus.
Ein schweres Gefecht meldete CNN aus der Umgebung einer großen Moschee im Norden Bagdads. Dabei habe es mehrere Tote gegeben. Laut US-Militärsprecher Frank Thorp lagen Informationen vor, dass sich irakische Führungskräfte in der Moschee aufhielten. Rund um die Hauptstadt richteten die Amerikaner Straßenkontrollpunkte ein. CNN- Reporter beobachteten, wie aufs Land geflüchtete Einwohner in kleinen Gruppen nach Bagdad zurückkehrten.
Abgabe der Waffen
Im südirakischen Basra riefen die britischen Truppen nach Angaben von BBC die Einwohner zur Abgabe ihrer Waffen auf. Die Plünderungen in der zweitgrößten irakischen Stadt seien zurückgegangen.
Der britische Verteidigungsminister Geoff Hoon kündigte die Etablierung einer amerikanischen Übergangsbehörde zur Verwaltung des Landes "binnen Tagen" an. Die USA leiteten unterdessen erste Schritte für eine Nachkriegsordnung im Irak ein. Dazu soll ein Treffen irakischer Exilpolitiker und lokaler Führer vorbereitet werden.
Rund 100 000 irakische Flüchtlinge kampieren nach einem Bericht der iranischen Nachrichtenagentur IRNA zur Zeit an der iranischen Westgrenze. Mitarbeiter des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) nahmen ihre Arbeit in Bagdad zwei Tage nach dem Tod eines kanadischen Mitarbeiters "in beschränktem Maße" wieder auf.