Er hat es geschafft: Nach einem Jahr heftiger Debatten hat Barack Obama den bald hundert Jahre alten Traum seiner Demokraten von einem Krankenversicherungsschutz für fast alle US-Bürger erfüllt. Mit Recht sprach der US-Präsident nach dem entscheidenden Votum des Repräsentantenhauses von einer "historischen" Entscheidung. Doch der Sieg ist teuer erkauft, und möglicherweise werden Obama und seine Demokraten das schon bald zu spüren bekommen.
Schon seine Wahl zum ersten schwarzen Präsidenten der USA sichert Obama einen Platz in der Geschichte. Doch Obama wollte mehr, er trat an mit dem Versprechen, die US-Politik grundlegend zu wandeln.
Den Nahost-Friedensprozess wollte er vorantreiben, sich stärker für den Klimaschutz einsetzen, die Spaltung der US-Gesellschaft überwinden, die Wirtschaftskrise bewältigen und tiefgreifende soziale Reformen einführen. Nur wenig hat er bisher erreicht. Umso nötiger hatte er nun den Erfolg seiner Gesundheitsreform, eines seiner innenpolitischen Kernanliegen. "So sieht Wandel aus", sagte ein müder, aber triumphierender Präsident nach dem nächtlichen Votum. "Wir hatten keine Angst vor unserer Zukunft, wir haben sie gestaltet".
Einigen liberalen Kritikern geht die Gesundheitsreform nicht weit genug. Konservative wiederum sprechen von einer feindlichen Übernahme eines wichtigen Wirtschaftszweigs, die unzählige Arbeitsplätze vernichten wird. Doch die meisten stellen die Bedeutung der Reform nicht in Abrede.
Später einmal werden wir sicherlich von einer historischen Abstimmung sprechen
"Später einmal werden wir sicherlich von einer historischen Abstimmung sprechen", glaubt auch der Politikwissenschaftler Dan Shea vom Allegheny College (Pennsylvania). Die Reform, die 32 Millionen bisher unversicherten Bürgern Schutz im Krankheitsfall bietet und der mächtigen Versicherungsindustrie Grenzen aufweist, werde langfristig "die Beziehung zwischen Bürgern und Regierung" grundlegend ändern. Sheas Kollege Costas Panagopoulos von der Fordham University meint, das Votum könnte zu Obamas "wichtigstem Moment" seiner Präsidentschaft werden.
Nach heftiger Kritik, er vernachlässige den Gesetzgebungsprozess, hatte sich der US-Präsident zuletzt mit seinem ganzen Gewicht in die Debatte eingebracht, hatte bis zur letzten Minute um jede Stimme gekämpft und ging damit ein hohes Risiko ein. Nun kann er für sich mit Recht das Image eines zähen Reformers beanspruchen.
Doch viele Beobachter fragen sich, welchen Preis Obama und seine Partei noch zu zahlen haben. Das Land ist tiefer gespalten als bei Obamas Amtsantritt im Januar 2009. Nach monatelangen, teils giftigen Attacken der Republikaner gegen das Projekt, nach monatelangem Stillstand im Kongress, ist die Reform inzwischen sehr unpopulär: Viele US-Bürger fürchten die Milliarden-Kosten für das Projekt, andere sorgen sich um ihre Versicherungsleistungen.
Die Debatte um die Gesundheitsreform geht jetzt erst so richtig los
Die Konservativen hoffen auf einen Denkzettel für die Demokraten bei den Kongresswahlen im November. "Die Debatte um die Gesundheitsreform geht jetzt erst so richtig los", sagt Politikwissenschaftler Panagopoulos. Schon wenige Minuten nach dem Votum gab der Republikaner Marco Rubio den Ton an: "Dieses Gesetz verkörpert alles, was die Amerikaner an unserem Politiksystem verachten - mehr Ausgaben, mehr Regulierung, Desinformationen, Demagogie, gebrochene Versprechen und Hinterzimmer-Deals", sagte der Politiker, der Kandidat der Republikaner für den Senatorensitz von Florida werden will.
Es muss nicht so kommen. Das Weiße Haus hofft, dass die US-Bürger die Gesundheitsreform annehmen werden, sobald sich der Aufruhr gelegt hat. Einige Beobachter glauben, das Vorhaben könne die demokratische Wählerbasis mobilisieren - auch wenn sie weit hinter den Erwartungen zurückgeblieben ist.