Zumindest die Fußspuren sind erstmal weg. Sie waren in der ganzen Wohnung zu sehen. Immer morgens, wenn ich barfuß auf dem Balkon gestanden hatte – mit einem Kaffee in der Hand, das Thermometer um neun Uhr bereits bei 38 Grad und in der Luft ein Geruch wie nach einem Osterfeuer.
Der Ruß der Brände, der sich in den vergangenen Wochen von Norden aus über ganz Athen ausgebreitet hatte, stand um diese Uhrzeit meist schon zentimeterdick auf meinem Balkongeländer. Und wenn ich dann zurück in mein Wohnzimmer gestapft war, schleppte ich den Ruß mit mir. Ganz so, als würde mir der Ausnahmezustand in Griechenland überallhin folgen. Als würde man ihn nicht los.
Dazu muss man wissen, dass ich erst seit sechs Wochen in Athen lebe und seitdem zumindest zwei Sachen immer sicher waren. Erstens die Hitze. Zweitens die Feuer.

Die Nachrichten und Gespräche hier kennen im Moment kaum ein anderes Thema. Auf jedem Nachrichtenkanal wird non-stop berichtet: überall Feuerwehrleute, Rauchsäulen, verbrannte Tiere. Im Fernsehen erzählen weinende Menschen, was sie alles verloren haben und Politiker überbieten sich in apokalyptischen Vergleichen. Sie versichern, dass sie alles tun werden, um weitere Stromausfälle zu verhindern.
Gefasste Fassungslosigkeit
Neulich saß ich in einem Restaurant am Wasser, als an allen Tischen zur gleichen Zeit ein kollektiver Handyalarm losging. Es war eine Notfallwarnung der Regierung. Man warnte vor weiteren, extremen Bränden und verbot uns, Wälder und bewaldete Gebiete zu besuchen. Ehrlich gesagt bin ich etwas zusammengezuckt. Diese neue Art der Sirene hat Vibrationsalarm.
Heute allerdings, an diesem Donnerstag, sieht die Lage etwas besser aus. Die Feuer rund um Athen sind seit ein paar Tagen gelöscht und selbst auf der Insel Euböa hat sich die dramatische Lage etwas beruhigt. Gestern hat es sogar einmal kurz geregnet, das erste Mal seitdem ich im Land bin.
Dass das Problem damit aber keinesfalls gelöst ist, weiß in Griechenland jeder. Denn die nächste Hitzewelle ist bereits angekündigt. Man kann nur spekulieren, wo das Feuer als nächstes zuschlägt. Ein bisschen ist es wie in einem gigantischen Hütchen-Spiel. Eines allerdings, in dem man nur verlieren kann. Die aktuelle Zahl an Bränden liegt bei 569 in diesem Jahr.
Trotzdem wäre es falsch zu glauben, dass die Griechen auf Grund der Situation in einen Chaosmodus geschaltet hätten. Die Stimmung wirkt zwar erschüttert, aber nicht hysterisch. Es ist eher eine gefasste Fassungslosigkeit, mit dem das Land auf das Ausmaß der Brände blickt. Das liegt auch daran, dass die Griechen mittlerweile gute Nehmerqualitäten haben. Nach Eurokrise und Beinahe-Staatsbankrott hat man sich einen robusten Trotz zugelegt.
Die Rache der Natur
Gleichzeitig ist da allerdings auch die Sorge, dass sich das Problem in den nächsten Jahren noch verschlimmern könnte. Dass die wahren Mega-Feuer erst noch kommen. Auch das war aus den Gesprächen herauszuhören, die ich hier den vergangenen Wochen mit Brandopfern und Feuerwehrleuten, mit Klimaexperten und Politikern geführt habe.
Denn mit der EU, sagte mir ein Mann in der Peleponnes, werde man noch irgendwie fertig. Mit der Rache der Natur werde es da schon schwieriger.
Dass die Feuer dabei Ausdruck des Klimawandels sind, darüber ist man sich in Griechenland weitgehend einig. Das Land hat eine der niedrigsten Klimawandelleugner-Quoten in Europa. Gerade einmal vier Prozent sollen daran zweifeln, dass die Erderwärmung menschengemacht ist.
Das liege vor allem daran, erzählte mir eine Frau von der Insel Syros, weil die Menschen in Griechenland so eng mit der Natur leben würden. „Man müssten schon ziemlich bescheuert sein, wenn wir den Klimawandel anzweifeln würden. Wir können ihn schließlich fühlen. Seit zehn Jahren wird es jedes Jahr heißer und trockener“, sagte sie.
Wut auf die Politik
Was die Menschen aber durchaus anzweifeln, ist die Kompetenz der Regierung. In den vergangenen Tagen gab es viel Kritik für das Feuermanagement von Regierungschef Mitsotakis. Vor allem, weil die meisten Löschflugzeuge zuletzt rund um Athen eingesetzt wurden, während die Lage auf der Insel Euböa und in der Peleponnes immer gefährlicher wurde. In den Regionen abseits der Hauptstadt fühlte man sich von Athen teilweise im Stich gelassen. Erst im letzten Moment wurden am Wochenende tausende Bewohner von Euböa mit Fähren evakuiert und ans Festland gebracht. Dabei hat sich gezeigt, wie hilflos Griechenland dem Ausmaß der Brände gegenübersteht. Denn obwohl der griechische Staat stark in neues Equipment zur Feuerbekämpfung investiert hat, reichen die Ressourcen noch immer nicht aus.
Was den Griechen aber noch mehr Sorgen macht, ist die Energieversorgung. Denn aufgrund der Hitzewelle laufen die Klimaanlagen derzeit auf Hochtouren. Die Systeme sind am Anschlag. Die Regierung hat deshalb schon dazu aufgefordert, den Gebrauch der Klimaanlagen zu drosseln. Aus guten Gründen. Denn in Athen und anderswo gab es bereits die ersten Stromausfälle – zum Beispiel als ich neulich auf dem Weg zum Flughafen war. Da funktionierten plötzlich viele der Ampeln auf den Straßen nicht mehr.
Griechenland muss seinen Strom deshalb gerade auch aus den Nachbarländern beziehen. Keine gute Nachricht für die chronisch leeren Kassen des Staates. Der griechische Fiskus hat durch die Feuer finanziell ohnehin zu leiden. Um unbürokratisch zu helfen, hat die Regierung vor ein paar Tagen ein Programm aufgelegt, dass betroffenen Haushalten bis zu 6000 Euro Soforthilfen zur Verfügung stellt. Außerdem soll das Katastrophenschutzbudget um 1,76 Milliarden erhöht werden. Das sagte der griechische Finanzminister Christos Staikouras vor kurzem live im Fernsehen.
Insofern ist es eine gute Nachricht, dass zumindest der durch Corona angeschlagene Tourismus bislang Stand hält. Die Buchungen aus dem Ausland sind nach wie vor exzellent. Und auch die Griechen selbst lassen sich den Urlaub im Hauptreisemonat August offenbar nicht verderben. Im Moment ist es praktisch unmöglich, auf den Inseln vor Athen noch ein freies Hotelzimmer zu bekommen.