Mit einer Verurteilung wegen Vorteilsnahme hat ein Gericht in Nanterre den Hoffnungen des früheren französischen Premierministers Alain Juppé auf das Präsidentenamt einen schweren Dämpfer versetzt. Die Richter verhängten heute eine 18-monatige Freiheitsstrafe gegen den engen Vertrauten von Staatschef Jacques Chirac und erklärten ihn für eine Dauer von zehn Jahren für unwählbar. Der Vorsitzende der rechtsliberalen Regierungspartei UMP will in Berufung gehen, wie sein Anwalt Francis Szpiner sagte.
Der 58-jährige hatte seinen Abschied aus der Politik für den Fall angekündigt, dass ihm das passive Wahlrecht entzogen wird. Szpiner erklärte, sein Mandant werde sich in den nächsten Tagen äußern. Der sichtlich geschockte Juppe verließ den Justizpalast von Nanterre bei Paris kommentarlos durch einen Nebeneingang. Er gilt als Kronprinz Chiracs, der ihn gern als seinen Nachfolger im Elysee-Palast sähe.
Juppé habe "das Vertrauen des souveränen Volkes getäuscht"
Die Richter befanden Juppé für schuldig, als RPR-Generalsekretär und stellvertretender Pariser Bürgermeister Anfang der 90er Jahre wissentlich Scheinarbeitsverträge zu Gunsten seiner Partei gebilligt zu haben. Juppé habe "das Vertrauen des souveränen Volkes getäuscht", erklärte das Gericht. Das Urteil lag deutlich über dem Antrag der Staatsanwaltschaft.
Anwalt Szpiner sagte: "Das Gericht wollte Herrn Juppe aus dem politischen Leben ausschalten." UMP-Fraktionschef Jacques Barrot nannte die Strafe vollkommen unangemessen, die oppositionellen Sozialisten begrüßten den Richterspruch dagegen. Der Grünen-Abgeordnete Noel Mamere sagte, mit Juppe sei das gesamte System der RPR verurteilt worden, an dessen Spitze Chirac gestanden habe.
Die Justiz war bei ihren Ermittlungen auf die Machenschaften im Pariser Rathaus unter Bürgermeister Chirac auf ein System von Geben und Nehmen gestoßen. Nicht nur die Stadtverwaltung, sondern auch Privatunternehmen, die sich Vorteile bei der Vergabe öffentlicher Aufträge erhofften, bezahlten Mitarbeiter der neogaullistischen RPR. Insgesamt standen 27 Angeklagte vor Gericht, die Firmenchefs und ehemaligen Parteifunktionäre wurden fast alle zu Bewährungsstrafen verurteilt.
Schmiergeldzahlungen an alle im Pariser Rathaus vertretenen Parteien
Erst Anfang der 90er Jahre wurde in Frankreich eine staatliche Parteien- und Wahlkampffinanzierung geschaffen. Die Scheinbeschäftigungsverhältnisse zu Gunsten der RPR wurden nach deren Sieg bei der Parlamentswahl 1993 beendet, die letzten beiden liefen 1995 aus.
Dies ist nicht die einzige Affäre, in die die RPR Chiracs verwickelt war. Die Justiz ermittelt zudem wegen Schmiergeldzahlungen an alle im Pariser Rathaus vertretenen Parteien Anfang der 90er Jahre. Mit den oft bar gezahlten Summen erkauften sie sich nach Aussagen eines ehemaligen RPR-Funktionärs den Zuschlag für öffentliche Aufträge. In einem weiteren Komplex geht es um die Vergabe von Aufträgen zur Renovierung von Schulgebäuden.