Das Kriegsrecht beschreibt den Versuch, Menschlichkeit in unmenschlichen Konflikten durchzusetzen. Seit dem Großangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober sprechen Beobachterinnen und Beobachter vom schlimmsten Blutbad unter Zivilisten seit der israelischen Staatsgründung. Grausame Fotos und Videos in sozialen Netzwerken sind das Zeugnis der brutalen Taten – auch sie sind Waffen in einem Krieg. Israel geht aktuell von etwa 1400 Toten, tausenden Verletzten und rund 200 Menschen aus, die in den Gazastreifen verschleppt wurden.
Auch die etwa zwei Millionen Palästinenserinnen und Palästinenser im Gazastreifen erleben einen Albtraum. Nicht alle unterstützen die Terrororganisation Hamas. Trotzdem trifft die drastische Antwort Israels auch die Zivilbevölkerung. Durch großflächige Bombardements, die Kappung von Wasser und Strom, bald möglicherweise durch die Bodenoffensive der hochgerüsteten israelischen Armee.
Der Beschuss eines Krankenhauses in Gaza vor zwei Tagen verschlechterte die Lage zusätzlich, wofür sich Israel und Hamas aktuell gegenseitig verantwortlich machen. Für einen Angriff Israels gibt es jedoch keinerlei Belege. Das durch die Terrorgruppe kontrollierte palästinensische Gesundheitsministerium meldete zuletzt insgesamt 3500 Todesopfer und tausende Verletzte. Unabhängig überprüfen lassen sich diese Angaben nicht.
Die verantwortliche Hamas wurde für ihre Taten weltweit kritisiert. Doch US-Präsident Joe Biden mahnte Israel bei seinem Besuch am Mittwoch an, die Fehler der USA nach den Anschlägen vom 11. September 2011 nicht zu wiederholen. "Nach 9/11 waren wir in den USA wütend", sagte Biden. "Während wir Gerechtigkeit gesucht und Gerechtigkeit erhalten haben, haben wir auch Fehler begangen." Welche Regeln gelten im Krieg?
Das Kriegsrecht ist im Völkerrecht geregelt
Kommt es zu einem bewaffneten Konflikt, legt das humanitäre Völkerrecht Mindeststandards für militärische Handlungen fest. Insbesondere die Genfer und die Haager Konventionen, schreibt der Völkerrechtler Rainer Hofmann von der Universität Frankfurt. Das Genfer Abkommen soll den Schutz von Zivilpersonen sicherstellen, das Haager Abkommen regelt den Schutz von Armeeangehörigen sowie Kriegsführung und -methoden.
Das Bundesministerium für Verteidigung fasst die Regelungen ausführlich zusammen. Ein Überblick über die wichtigsten Grundsätze:
- Nur Angehörige der Streitkräfte, sogenannte Kombattanten, dürfen sich an den Kampfhandlungen beteiligen.
- Nur militärische Ziele dürfen bekämpft werden, Kollateralschäden sind so weit wie möglich zu begrenzen.
- Zivilpersonen sind besonders zu schützen, sie dürfen nicht das Ziel von Angriffen sein. Auch "die Androhung oder Anwendung von Gewalt mit dem hauptsächlichen Ziel, Schrecken unter der Zivilbevölkerung zu verbreiten, sind verboten", schreibt das Verteidigungsministerium.
- Sanitäter und Geistliche sind keine Kombattanten und genießen auch als Angehörige der Streitkräfte besonderen Schutz.
- Kriegerische Handlungen sind nur im Kriegsgebiet erlaubt. Unverteidigte Orte, entmilitarisierte oder neutralisierte Zonen dürfen nicht angegriffen werden.
- Der Einsatz diverser Waffen und Kampfmittel, die "übermäßige Leiden" verursachen, ist verboten, so das Verteidigungsministerium. Dazu gehören giftige Gase, Sprengfallen, chemische Waffen oder Antipersonenminen.
- Kriegsverbrechen sind schwere Straftaten, die gegen das Völkerrecht verstoßen. Dazu gehören Folter, Vergewaltigungen, unmenschliche Behandlungen oder militärisch nicht gerechtfertige Zerstörungen.

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Gilt das Völkerrecht für Hamas und Israel?
"Ein zentrales Problem des humanitären Völkerrechts (wie des Völkerrechts im allgemeinen) ist die Kontrolle seiner Einhaltung und gegebenfalls Sanktionierung seiner Missachtung", so Hofmann. Das zeigt sich in diesen Tagen auch im Nahostkonflikt.
Israel als Staat ist gebunden an die Genfer Konvention. "Die israelische Regierung und Armee fühlen sich dem auch verpflichtet", erklärt Christoph Safferling im Jura-Podcast "FAZ Einspruch". Safferling ist Professor für Strafrecht und Völkerrecht an der Universität Erlangen-Nürnberg.
Schwieriger werde es bei der Hamas, die aus völkerrechtlicher Sicht als private Organisation gilt. Dazu kommt: Palästina wird zwar von der Bundesregierung und anderen Staaten nicht als souveräner Staat anerkannt, doch ist Palästina seit 2015 Vertragsstaat des Weltstrafgerichtes. Dementsprechend könnten Verbrechen auf dem Gebiet auch geahndet werden, sagt Safferling.
Insbesondere bei der drohenden Bodenoffensive durch Israel bewege man sich auf einem "ganz schmalen Grad", so der Jurist gegenüber der "FAZ". Das Recht auf Selbstverteidigung sei begrenzt durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit: "Es darf immer nur so viel an Selbstverteidigungsgewalt angewendet werden, wie erforderlich ist, um die Gefahr zu beseitigen." Der Gradmesser müsse der Kampf gegen den Terror sein: "Vor Ort zu unterscheiden ist natürlich nicht leicht, aber das muss der Maßstab sein: Die größtmögliche Schonung der Zivilbevölkerung."
Auch die Kappung von Wasser und Nahrungsmitteln sei unter bestimmten Umständen völkerrechtlich zulässig. Beispielsweise, um die Terroristen vom Nachschub abzuschneiden. Entscheidend ist unter anderem der Zeitraum, so Safferling: "Es ist auch im römischen Statut als Kriegsverbrechen vorgesehen, wenn man die Bevölkerung vorsätzlich verhungern lässt." Mittlerweile hat der ägyptische Staatschef Abdel Fattah al-Sisi zugesagt, zunächst "bis zu 20 Laster" über den geschlossenen Grenzübergang Rafah zu lassen.
Mehrere Völkerrechtler gehen auf Seiten der Hamas von Kriegsverbrechen aus, insbesondere durch die brutalen Angriffe auf Feiernde bei einem Festival mit 270 Toten, sowie durch die Entführung und Tötung von Zivilpersonen. Auch die Menschenrechtsorganisation "Human Rights Watch" sprach nach der Auswertung von Videos von Kriegsverbrechen und forderte eine Untersuchung.
Doch auch "das unterschiedslose Bombardieren von bewohnten Gebieten", wie es zum Teil in Gazastreifen geschieht, könnte den Tatbestand von Kriegsverbrechen erfüllen, sagt der Völkerrechtler.
Zudem könnte der Beschuss des Klinikgeländes als Kriegsverbrechen gelten. Die arabische Welt machte nahezu geschlossen Israel dafür verantwortlich. Die Organisation für Islamische Zusammenarbeit sprach von "Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und organisierten Staatsterrorismus". Alle Indizien sprechen jedoch zurzeit für einen (versehentlichen) Beschuss der Klinik durch die andere Seite: Israel legte Beweise vor, die darauf hindeuten, dass eine fehlgeschlagene Rakete der Palästinenserorganisation Islamischer Dschihad für die Zerstörung verantwortlich ist.
Weitere Quellen: Bundesministerium für Verteidigung, Legal Tribune, Universität Frankfurt, Bundeszentrale für politische Aufklärung, "FAZ", Informationen der Nachrichtenagenturen DPA und AFP