Die französische Presse nennt ihn den "auferstandenen Magier", und Gordon Brown wirkt in den Tagen des globalen Finanzchaos tatsächlich ein wenig wie der Mann mit dem Zauberstab. Die ganze britische Nation hängt an seinen Worten, wenn er Milliarden Pfund für Banken verspricht und damit Sicherheit vor dem Kollaps für seine Bürger. Der britische Premierminister, der in diesem Jahr hat viel Spott über sich ergehen lassen müssen, war schon immer dann besonders gut, wenn die Krisen besonders schlimm wurden. Seine besten Zeiten im Amt als Regierungschef hatte er während der Flutkatastrophe und beim Ausbruch der Maul- und Klauenseuche im vergangenen Sommer und eben jetzt, im Angesicht einer globalen Finanz-Katastrophe. In solchen Momenten reagiert er entschlossen und schnell, hat Vorschläge zur Krisenbewältigung parat, die im Auge des Sturms Abhilfe versprechen.
Die Kurse an der Londoner Börse zeigen nach dem Bekanntwerden der großangelegten Rettungspläne zwar deutlich nach oben, aber was kommt danach? Großbritannien steht nicht am Ende einer schwierigen Wirtschaftsphase. Sie steht gerade erst davor. Seit acht Monaten fallen die Immobilienpreise im Land so stark, wie schon seit 25 Jahren nicht mehr. Zu Weihnachten sollen zwei Millionen Menschen arbeitslos sein, mehr als vor elf Jahren, als Labour unter Tony Blair die Macht übernahm. Und das ist eine eher optimistische Annahme.
Der Finanzplatz erwirtschaftet 14 Prozent des Bruttosozialprodukts
Ein Fünftel der Londoner Wirtschaft hängt direkt oder indirekt vom Erfolg der Finanzwirtschaft in der Londoner City zwischen St. Paul's Cathedral und Canary Wharf ab. 14 Prozent des gesamten britischen Bruttosozialproduktes macht das aus. Wie viele Jobs allein in der City im Anschluss an die Ereignisse dieser Tage verloren gehen, ist noch völlig offen - die Zahlen reichen von einigen zehntausend bis zur Mitte nächsten Jahres bis zu 110.000 in den nächsten drei Monaten.
Großbritannien wird eingeholt von dem, was in den letzten zehn Jahren selbstverständlich war: Jeder hat hier das Risiko geliebt, weil diese Risiken sich jahrelang prima ausgezahlt haben. Das größte Risiko war das Spiel mit dem Immobilienmarkt: Die Hauspreise sind in Großbritannien in die Stratosphäre geschossen, und auf dem Rücken dieser oft virtuellen Preissteigerungen haben die Briten konsumiert, was die Hypotheken hergaben.
In einer Zeit, in der eine 60-Quadratmeter-Wohnung mit Renovierungsstau 200 Prozent Preissteigerungen garantierte, galten Gewinne alles, Sicherheit wenig. Der "Guardian"-Kolumnist Charlie Brooker schreibt: "Das schienen alles keine Häuser zu sein, sondern magische Münz-Scheiß-Maschinen. Es war alles ein Traum, ein Traum, in dem du einen Kasten kaufst, darin wohnst und dieses Ding generiert Geld wie eine Kuh Fürze. Große, stinkende Wolken von Geld. Und nichts war echt. Und jetzt ist alles weg."
Hauptsache schnelles Geld
Es sind nicht nur die enormen Privatschulden jedes einzelnen Bürgers, die jetzt auf dem Land lasten. Auch die Anleger haben in den vergangenen Jahren wenig auf sichere Anlagen gesetzt, Gewinne waren wichtiger. Und so haben Millionen Bürger Milliarden Pfund zum Beispiel in isländische Banken gesteckt, weil die gute Zinsen boten. Auch britische Lokalverwaltungen haben ihre Steuergelder nach Island überwiesen, teilweise noch vor wenigen Wochen, als die Finanzkrise schon am Horizont dräute. 108 Städte und Kreise bangen nun um fast 1,2 Milliarden Euro. Schon sprechen Gewerkschaften davon, dass einzelne Counties ihre Angestellten, von Lehrern bis zu Müllmännern, nicht mehr bezahlen werden können, weil die Gehälter in Island festhängen.
Vor diesem Szenario benutzte Gordon Brown britische Terror-Gesetze, um 5,1 Milliarden Euro Einlagen der isländischen Bank-Töchter in seinem Land zu beschlagnahmen. Das wurde vom isländischen Premier Geir Haarde als "komplett feindlicher Akt" bezeichnet - und gab der isländischen Kaupthing-Bank den endgültigen Todesstoß.
Und genau diese Bank wiederum hält 2,5 Milliarden Euro Schulden des isländischen Unternehmers Jon Asgeir Johannesson, der nun vor den Trümmern seines Unternehmens Baugur steht. Baugur gehören die britischen Filialen des Spielzeugladens Hamley's, der Modegeschäfte Karen Miller, Oasis, Principles, Jane Norman und House of Fraser und dem Teeladen Whittards of Chelsea. Insgesamt 3700 Läden mit 53.000 Angestellten schauen in eine ungewisse Zukunft. Der britische Unternehmer Sir Philip Green, Inhaber des Kleidungs-Supermarktes Top Shop, ist jüngst nach Island geflogen, um dort bei Baugur billig Unternehmen einzukaufen.
Banken verstaatlicht, Island pleite
In den Zeitungen häufen sich die Schreckensmeldungen zu bekannten Namen und Marken: Das Formel-Eins-Team von Williams wird von der gerade zum größten Teil verstaatlichten Royal Bank of Scotland finanziert, wie auch das British Open Golf-Turnier, Zukunft ungewiss. Der Londoner Fußball-Erstligist Westham United gehört einem isländischen Milliardär, der gerade 460 Millionen Pfund verloren hat.
Virgin Media kappt 1000 Jobs, die Inhaber der durch ihre Suppen bekannten Campbell's Gruppe haben soviel Schulden, dass nicht sicher ist, ob sie schnell genug neue Kredite abschließen können, die Pub-Kette All Bar One musste gerade verkauft werden, weil der Hauptanteilseigner hunderte von Millionen von Euro verloren hat, Anteile von Woolworth's, der Supermarktkette Sainsbury's und anderen großen britischen Marken werden von verarmten Ex-Millionären auf den gebeutelten Markt geschmissen.
Verschnaufpause für Gordon Brown
Nur Gordon Brown hat gewonnen: drei Prozentpunkte laut den neuesten Meinungsumfragen. Doch für ihn könnte sich das als kurze Verschnaufpause erweisen auf dem Weg zur großen Niederlage bei den nächsten Wahlen. Denn irgendwann wird die Frage gestellt nach den Schuldigen an dieser Misere. Und es war Gordon Brown, der als Finanzminister die Sause der letzten zehn Jahre befeuert hat.