Schüsse auf UN-Inspekteure: Die Chemiewaffenexperten, die in Syrien die Giftgas-Vorwürfe gegen das Regime untersuchen sollen, sind am ersten Tag ihres Einsatzes von Heckenschützen angegriffen worden. Nach Angaben von Regimegegnern gelang es ihnen dennoch am Montagnachmittag, die Ortschaft Moadhamijat al-Scham südwestlich von Damaskus zu besuchen. Dort besuchten sie nach Angaben von Aktivisten ein Krankenhaus des Roten Halbmonds und sprachen mit Ärzten. Hier und in einem Bezirk östlich der Hauptstadt sollen am vergangenen Mittwoch Hunderte von Menschen mit Nervengas getötet worden sein.
Ein UN-Sprecher teilte mit, der erste Wagen der Fahrzeugkolonne sei mehrfach von Heckenschützen beschossen worden, gerade als der Konvoi von der Zone, die die Regierung kontrolliert, in das Gebiet der Rebellen fahren wollte. Das Team sei aber in Sicherheit, teilten die Vereinten Nationen am Montag in New York mit. Die Inspekteure würden in die betroffene Gegend in der Provinz Damaskus-Land zurückkehren, sobald es ein Ersatzfahrzeug gebe.
Regimegegner berichteten, regierungstreue Milizen hätten vom Messe-Militärflughafen aus das Feuer auf das UN-Team eröffnet. "Sie wollen verhindern, dass die Inspekteure zu uns kommen", sagte ein Revolutionär, der nach eigenen Angaben am Ortseingang von Moadhamijat al-Scham auf die Ankunft der Mitarbeiter der Vereinten Nationen wartete. Die staatliche Nachrichtenagentur Sana meldete dagegen, "bewaffnete Terrorgruppen" hätten die Inspekteure angegriffen.
Die Chemiewaffen-Experten waren am Morgen in ein Gebiet östlich von Damaskus aufgebrochen, das am vergangenen Mittwoch mit Giftgas bombardiert worden sein soll. Ein Augenzeuge berichtete, das UN-Team sei in Begleitung syrischer Sicherheitskräfte und eines Krankenwagens losgefahren. Ein Ziel der Inspekteure sei die Ortschaft Duma gewesen, meldete der libanesische Fernsehsender Al-Mayadeen. In dem Gebiet sollen Hunderte von Menschen durch Nervengas ums Leben gekommen sein.
Assad-Regime wehrt sich gegen die Vorwürfe
Zum Start der UN-Untersuchung, der das syrische Regime erst am Sonntag überraschend zugestimmt hatte, mahnte Generalsekretär Ban Ki Moon schnelles Handeln an. "Jede Stunde zählt", sagte er vor Journalisten in Seoul. "Wir können uns keine Verzögerungen mehr leisten." Assads Regime müsse den Experten der Vereinten Nationen uneingeschränkten Zugang verschaffen. Ban habe den Leiter der Gruppe, den schwedischen Professor Åke Sellström, angewiesen, dem Vorfall Priorität zu geben, hieß es in New York.
Damaskus bestreitet den Einsatz chemischer Kampfstoffe und beschuldigt stattdessen die Rebellen, Giftgas eingesetzt zu haben. Laut Ärzte ohne Grenzen sind in von der Organisation betreuten Krankenhäusern 3600 Menschen mit Symptomen von Nervengift behandelt worden. Von ihnen seien 355 gestorben.
Die USA bereiten sich auf ein militärisches Eingreifen vor, haben aber offiziell noch keine Entscheidung gefällt. Das Weiße Haus habe "kaum Zweifel" daran, dass das Assad-Regime in der vergangenen Woche Chemiewaffen eingesetzt hat, berichteten US-Medien unter Berufung auf einen hochrangigen Regierungsbeamten.
Regierung in London neigt zu Militärschlag
Großbritanniens Außenminister William Hague sagte, ein militärisches Eingreifen in Syrien wäre auch ohne einstimmiges Votum des Weltsicherheitsrates legitim. "Was auch immer wir tun, wird im Einklang mit internationalem Recht sein", sagte er dem BBC-Radio. Premierminister David Cameron bricht wegen der Krise in Syrien seinen Urlaub ab und kehrt an diesem Dienstag nach London zurück. Er soll eine Sitzung des Nationalen Sicherheitsrates leiten. Frankreichs Außenminister Laurent Fabius sagte am Montag, über eine Reaktion des Westens "wird in den kommenden Tagen entschieden".
Russland, ein enger Verbündeter Syriens, warnte die USA vor einer militärischen Einmischung. Eine Intervention würde die Friedensbemühungen zerstören, sagte Außenminister Sergej Lawrow laut Mitteilung in einem Telefonat mit seinem US-Amtskollegen John Kerry.
Westerwelle abwartend, Steinbrück gegen Intervention
Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) sagte in Berlin: "Wenn sich ein solcher Einsatz bestätigen sollte, muss die Weltgemeinschaft handeln. Dann wird Deutschland zu denen gehören, die Konsequenzen für richtig halten." Ziel müsse aber eine politische Lösung bleiben. SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück warnte erneut vor einem militärischen Eingreifen. "Ich rate zur äußersten Zurückhaltung, in eine militärische Logik zu fallen", sagte Steinbrück am Montag auf einer Wahlkampfveranstaltung in Offenbach. Er wisse zudem nicht, wie eine militärische Intervention aussehen solle. Sie könne nicht zu einer Befriedung beitragen. Der richtige Weg sei, den internationalen Druck auf das Land zu erhöhen. Auch etliche andere deutsche Politiker hatten sich gegen einen Militärschlag ausgesprochen.
Die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton wollte sich zu den Spekulationen über einen möglichen Militärschlag nicht äußern. Die Türkei erklärte sich zur Teilnahme an einem Militärbündnis gegen das syrische Regime bereit. Wenn es im Weltsicherheitsrat keine Entscheidung gebe, kämen Alternativen auf den Tisch, sagte Außenminister Ahmet Davutoglu nach Berichten türkischer Medien.
Präsident Assad warnte, eine Militärintervention werde islamistische Terrorgruppen stärken. In einem Interview mit der russischen Zeitung "Iswestija" sagte er: "Terrorismus ist wie ein Skorpion, er kann Dich jederzeit und unerwartet stechen, deshalb kann man den Terrorismus nicht gleichzeitig in Syrien unterstützen und in Mali bekämpfen." Die Giftgas-Vorwürfe wies er zurück: "Das ist Nonsens", sagte er. In Moskau wurde Assad zudem mit den Worten zitiert: "Auf die USA wartet ein Fehlschlag wie in allen von ihnen entfesselten Kriegen seit dem Vietnamkrieg bis heute."