Bürgersprechstunde in Russland Putin rechnet im Staatsfernsehen mit Chodorkowski ab

Putins Bürgersprechstunde im russischen Staats-TV ist Tradition. Dabei geht es nicht nur um die Sorgen seiner Landsleute. Ein Jahr vor der Parlamentswahl drohte der Regierungschef seinen Kritikern mit starkem Gegenwind. Von demokratischen Reformen sprach er aber nicht.

In knapp viereinhalb Stunden - ein neuer Rekord! - hat der russische Regierungschef Wladimir Putin live und bester Laune im Staatsfernsehen mit seinen Feinden abgerechnet. Der inhaftierte Kremlgegner und frühere Öl-Manager Michail Chodorkowski sowie Ex-Regierungsmitglieder, die heute in der Opposition sind, seien Diebe, die Russland verscherbeln wollten, warnte Putin am Donnerstag eindringlich. Sich selbst aber empfahl er in der Sendung "Gespräch mit Wladimir Putin" als starken Führer. "Ich schäme mich nicht", sagte er ein Jahr vor der Parlamentswahl.

"Im Großen und Ganzen beenden wir das Jahr völlig befriedigend", befand Putin auch gleich am Anfang der langen Sendung, als er die Bürger wie gewohnt mit Statistiken zu beeindrucken suchte. Steigende Industrieproduktion, höhere Löhne und Renten sowie sinkende Arbeitslosigkeit - es gehe aufwärts. Bis zum ersten Halbjahr 2012, wenn Präsidentenwahlen sind und Putins Rückkehr in den Kreml möglich ist, werde Russlands Wirtschaft wieder auf dem Vorkrisenstand sein, sagte er. Dennoch hielten Putins Landsleute mit ihren vielen Sorgen nicht hinter den Berg.

Ohne Umschweife kritisierten sie Mängel in der medizinischen Versorgung, die steigenden Tarife für kommunale Dienstleistungen und die enormen Kosten etwa für Arzneimittel. Immer wieder schaltete das Staatsfernsehen live in Regionen des Landes, in denen Putin in diesem Jahr gewesen war. Zu sehen bekamen die Zuschauer eher die schönen Bilder von einem ultramodernen Metallurgie-Kombinat in Tscheljabinsk. Wie gewohnt präsentierten die Staatsjournalisten einen Mix aus den erzielten Erfolgen und dem, was noch zu tun ist. Vor allem Studenten verlangten mehr Unterstützung vom Staat - und höhere Stipendien.

Im Gegensatz zu Kremlchef Dmitri Medwedew, der in seinen Reden immer wieder die Rückständigkeit seines Landes beklagt, präsentierte sich Putin einmal mehr als Mann der Tat. Wie er es nur mache, dass er etwa die Fußballweltmeisterschaft 2018 nach Russland geholt habe und ihm sonst auch alles gelinge, ließ er sich wieder einmal fragen. "Harte Arbeit!", gab er einem Jungen als Rat mit auf den Weg. Auf eine Bürgerbitte hin sprach er einen Glückwunsch zum Geburtstag aus und erzählte unter starkem Applaus, wie sehr er seinen neuen Hundewelpen Buffy liebe.

Auf 90 Fragen von insgesamt mehr als 2,6 Millionen antwortete Putin in 4 Stunden und 25 Minuten, wie die Staatsjournalisten schwärmten. Dass er sich diesmal nicht zur Frage einer möglichen Präsidentenkandidatur 2012 äußerte, mag auch daran liegen, dass viele Russen dies inzwischen ohnehin für selbstverständlich halten. Putin, der sich immer wieder mit spektakulären Aktionen etwa als oberster Löschmeister bei den verheerenden Waldbränden im Sommer präsentierte, genießt weiter das größte Vertrauen in der Bevölkerung. Er gilt als beliebter als Medwedew, den viele Russen für zögerlich halten.

Seinen Widersachern aber sprach Putin weiter jedes Recht auf die Macht ab: Oppositionspolitiker wie der frühere Vize-Regierungschef Boris Nemzow seien nur auf Macht und Geld aus. "Ich denke, wenn wir das zulassen, werden sie sich nicht auf ein paar Milliarden konzentrieren. Sie werden ganz Russland ausverkaufen", warnte Putin. Die Beschuldigten reagierten prompt - und mit Empörung. Es sei doch gerade das korrupte System Putin mit autoritären Strukturen, das international in der Kritik stehe, sagte der frühere Duma-Abgeordnete Wladimir Ryschkow. Nemzow forderte Putin einmal mehr zum Rücktritt auf. Das Staatsfernsehen berichtete über diese Reaktionen auf Putins Bürgersprechstunde aber nicht.

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Ulf Mauder, DPA