Der chinesische Energiehunger hat neue Opfer gefordet. Beim schwersten Grubenunglück seit 15 Jahren sind in China mehr als 200 Bergarbeiter getötet worden. Die Grube in der Stadt Fuxin wurde in etwa 242 Meter Tiefe von einer gewaltigen Explosion erschüttert, kurz nachdem die Arbeiter ein starkes Beben gespürt hätten.
Für sein schnelles wirtschaftliches Wachstum zahle China einen hohen Preis, urteilen die staatlich gelenkten Medien über die Serie von Grubenunglücken im Land. Nirgendwo auf der Welt leben Bergarbeiter gefährlicher, nirgendwo ist ihr Leben so wenig wert. Die Zahl getöteter Kumpel - gemessen an der Fördermenge - ist in China 100 Mal größer als in den USA, 30 Mal höher als in Südafrika.
Sicherheitsmaßnahmen werden ignoriert
Energieknappheit im "Wirtschaftswunderland" China und hohe Profite durch steigende Kohlepreise lassen die Gruben wider alle Vernunft über ihre Kapazitäten hinaus "schwarzes Gold" fördern. Amtliche Statistiken zeigen, dass 20 der 27 Kohleregionen des Landes überlastet sind. Die Förderung liege meist um 10 Prozent über dem vertretbaren Maß, in einigen Gruben sogar bis zu 50 Prozent.
Selbst in "normalen" Zeiten werden einfache Sicherheitsmaßnahmen routinemäßig ignoriert. Grubenleitungen stecken kaum Geld in den Werksschutz. Nach einer amtlichen Schätzung müssten allein die großen staatlichen Kohlebergwerke, die 60 Prozent der Kohle fördern, 50 Milliarden Yuan (fünf Milliarden Euro) in nötige Sicherheitsmaßnahmen investieren. "Es ist jetzt klar, dass unzureichende Ausgaben für Sicherheitsausrüstung und Anlagen der Hauptgrund für die Unfälle sind", schrieb die Zeitung "China Daily" vorige Woche, als die Zahl von 6000 getöteten Kumpel in Chinas Kohlebergwerken im vergangenen Jahr bekannt gegeben wurde. "Es muss schnell gehandelt werden. ... Wir können es uns nicht erlauben, noch mehr Leben zu verlieren."
Leere Worte und fehlender Aktionismus
Doch bleibt es bei Aktionismus und Propaganda. Regierungschef Wen Jiabao besuchte am Neujahrstag trauernde Familien von Bergleuten, die bei der Katastrophe im November in Shaanxi ums Leben gekommen waren. Er weinte mit ihnen, was dem Milliardenvolk in Bild und Text kundgetan wurde. "Dieser Unfall hat uns eine Lektion erteilt, die mit Blut bezahlt wurde", sagte Wen Jiabao. "Wir müssen der Produktionssicherheit große Aufmerksamkeit schenken, und dürfen so etwas nicht wieder passieren lassen." Die Propaganda fand, der Premier habe mit seinem Auftritt "die Herzen aller Chinesen erwärmt" und forderte: "Von den Tränen des Ministerpräsidenten lernen."
Unfälle und Korruption
Doch aus den Katastrophen wurde wenig gelernt, wie die fatale Unglücksserie demonstriert. Ein Internetnutzer ließ sich nicht beirren: "Der Mangel an Sicherheit am Arbeitsplatz, schlechtes Management und Korruption der Funktionäre haben zu dieser Häufigkeit geführt." Er zitiert den hohen Arbeitsschutzbeamten des Staatsrates, Zhang Baoming, dass fast jeder Unfall mit Korruption zu tun habe. Denn Funktionäre verschließen oft die Augen vor Verstößen gegen den Werksschutz, kassieren mit oder schieben zusammen mit Grubenleitungen alle Sicherheitsbedenken zu Gunsten einer höheren Förderung beiseite.
"Warum so rücksichtslos?", fragt die "China Daily" und liefert die Antwort mit: "Wenn die Kohlepreise steigen, bringen saftige Profite am Markt die Leute dazu, mögliche Gefahren zu ignorieren." Warum ausgerechnet in China die Bergleute so gefährlich leben, fragt sich das Massenblatt "Zhongguo Qingnianbao" und kommt zu dem Schluss: "Die wahre Antwort ist die Gleichgültigkeit der Grubenbesitzer gegenüber dem Leben der Arbeiter." Wenn in China schmerzhafte Entschädigungen wie in den USA gezahlt werden müssten, würden sie die Sache ernster angehen.