Rätselraten und Spekulationen Nach wochenlangem Verschwinden: Chinas Außenminister Qin Gang entlassen

Chinas Außenminister Qin Gang
Chinas nun Ex-Außenminister Qin Gang 
© Michael Kappeler / DPA
Seit einem Monat verpasst Chinas Außenminister Qin Gang einen wichtigen Termin nach dem anderen. Jetzt hat Peking ihn abgelöst - und schweigt weiter über sein Schicksal.

Die Nachricht war in China binnen Sekunden das meistgeteilte Thema im sozialen Netzwerk Weibo: Der seit Wochen unter rätselhaften Umständen verschwundene Außenminister Qin Gang ist seines Amtes enthoben worden. Die Aufregung am Dienstagabend ist verständlich, wurde doch seit Wochen über das Schicksal des 57-Jährigen spekuliert.

Das letzte Foto des nun abgelösten Top-Diplomaten ist einen Monat alt. Es zeigt ihn am 25. Juni lächelnd an der Seite des russischen Vizeaußenministers Andrej Rudenko in Peking. Seitdem fehlt von Qin Gang jede Spur, obwohl er eigentlich wichtigen Verpflichtungen hätte nachkommen müssen.

Ist der Minister krank? Hat er eine außereheliche Affäre? Oder wird gegen ihn wegen Korruption ermittelt? Der Fall sorgte nicht nur bei immer mehr Chinesen für Irritationen, auch Vertreter anderer Staaten fragten sich, wie sie auf das Verschwinden reagieren sollen.

Qin Gang fehlte bei vielen Terminen

Seit Dienstagabend ist nun zumindest klar, dass Qin Gang nicht mehr Außenminister ist. Dafür stimmte der Ständige Ausschuss des Volkskongresses in einer kurzfristig einberufenen Sitzung. Sein Vorgänger Wang Yi soll erneut das Amt übernehmen.

Dass etwas nicht stimmte, bekam der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell Anfang Juli als einer der ersten zu spüren. Nur wenige Tage vor einem geplanten Treffen mit Qin Gang in Peking sagten die Chinesen plötzlich ab. Auch an einem Gipfeltreffen der Außenminister der südostasiatischen Staatengemeinschaft Asean nahm er nicht teil. Stattdessen reiste Chinas Spitzendiplomat Wang Yi an, der als Direktor der Zentralen Kommission für Auswärtige Angelegenheiten in der Machthierarchie noch über dem Außenminister steht. Künftig dürfte er nun eine Doppel-Funktion einnehmen.

Wang Yi vertrat Qin Gang zuletzt bei einer ganzen Reihe von Terminen, so auch diese Woche bei einem Treffen der Brics-Staaten Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika in Johannesburg. Auf die Frage, warum Qin Gang nicht am Asean-Treffen teilgenommen habe, antwortete ein Sprecher des Pekinger Außenministeriums, dies sei aus "gesundheitlichen Gründen" nicht möglich gewesen.

Aus Peking hieß es: "keine Informationen"

Doch zugleich kursieren Spekulationen, Qin Gang sei wegen einer außerehelichen Affäre samt Baby aus dem Verkehr gezogen worden. Auf die unbewiesenen Gerüchte angesprochen, der Minister habe womöglich eine Affäre mit einer Journalistin des Hongkonger Fernsehsenders Phoenix, sagte eine Sprecherin des Pekinger Außenministeriums lediglich, sie habe "keine Informationen" zu diesem Thema. Sie wiederholte jedoch nicht, dass Qin Gang krank sei. Man habe "keine Informationen", hieß es seitdem routinemäßig im Außenministerium, wenn nach dem Chef gefragt wurde.

Im Protokoll der täglichen Pressekonferenz, das jeden Abend auf der Website des Ministeriums veröffentlicht wird, waren die Fragen zu Qin Gang herausgestrichen. Diese Geheimniskrämerei stößt auch in China auf Kritik. Die Führung in Peking verfolge einen "Black-Box-Ansatz", sagt Wu Qiang, ehemaliger Politikprofessor an der renommierten Tsinghua-Universität. Für ihn ist es bereits eine Tatsache, dass gegen den Außenminister ermittelt wird.

"Jeder ist über etwas besorgt, kann es aber nicht öffentlich sagen", schrieb Hu Xijin, ein sonst eher für nationalistische Töne bekannter Kommentator im sozialen Netzwerk Weibo, nachdem Qin Gang nicht mehr öffentlich auftrat.

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Verschwinden von hohen Beamten und Prominenten in China nicht ungewöhnlich

Der Fall des Außenministers erregt großes Interesse. Allerdings ist das Verschwinden hoher Beamter, Prominenter und Geschäftsleute in China nicht ungewöhnlich. Oft stellt sich später heraus, dass sie in Ermittlungen oder andere Kontroversen verwickelt waren.

Einer der bekanntesten Fälle der letzten Jahre ist der des ehemaligen chinesischen Interpol-Chefs Meng Hongwei, der 2018 während einer Reise in seine Heimat China verschwand. Zwei Jahre später verurteilte ihn ein chinesisches Gericht wegen der Annahme von Bestechungsgeldern zu einer langjährigen Haftstrafe.

Droht Qin Gang ein ähnliches Schicksal? "Ermittlungen gegen die Person Qin und/oder sein Netzwerk sind bei der Dauer seiner Abwesenheit wahrscheinlich", sagte Nis Grünberg vom China-Institut Merics in Berlin, bevor am Dienstag die Ablösung des Außenministers bekannt wurde. Aber auch gesundheitliche Probleme könnten hinter seinem Verschwinden stecken. Ob die Wahrheit jemals ans Licht komme, sei völlig unklar. Informationskontrolle habe für Peking oberste Priorität, so Grünberg.

Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel wird fortlaufend aktualisiert.

DPA
yks / rw / Jörn Petring