Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat der Türkei trotz Bedenken gegen eine EU-Vollmitgliedschaft zugesichert, die Beitritts-Verhandlungen konstruktiv zu begleiten und Verträge einzuhalten. "Wir werden die Beitrittsverhandlungen so verfolgen und begleiten, dass alle Kriterien eingehalten werden müssen", sagte Merkel bei einem Besuch des türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan in Berlin. Die Bundesregierung sei "in Kontinuität vertragstreu".
Es ist der erste Besuch Erdogans in Berlin seit der Wahl Merkels zur Kanzlerin. Merkel hatte bei ihrem Besuch als Oppositionsführerin im Februar 2004 klar gemacht, dass sie eine privilegierte Partnerschaft der Türkei mit Europa befürworte, nicht aber eine EU- Mitgliedschaft. Dies hatte zu einiger Verstimmung in Ankara geführt.
"Speziell gegenüber den Türken gibt es ein Verhalten, das nicht akzeptabel sein sollte"
Beide Regierungschefs unterstrichen die freundschaftlichen Beziehungen ihrer Länder nicht nur auf dem Wirtschaftssektor. Aber die Wirtschaft sei das wichtigste Standbein, sagten sie. Merkel und Erdogan waren sich einig, dass der wichtigste Schlüssel zur Integration Sprachkenntnisse seien. Und dies beginne bereits im Kindergarten, sagte Merkel beim deutsch-türkischen Wirtschaftskongress. Erdogan beklagte eine Ausgrenzung von Ausländern in Deutschland. "Speziell gegenüber den Türken, gegenüber den Muslimen gibt es ein Verhalten, das nicht akzeptabel sein sollte", sagte er der "Financial Times Deutschland".
Die Kanzlerin verwies darauf, dass immer mehr mittelständische Unternehmen im Ausland produzierten. Sie benötigten dafür sichere Rahmenbedingungen im Partnerland - vor allem Rechtssicherheit, sagte sie an die Adresse Erdogans. Merkel hob die deutsch-türkischen Kooperationen im Automobilbereich hervor. Künftig solle auch auf dem Energiesektor und im Umweltschutz stärker zusammengearbeitet werden. Die Türkei soll nach Merkels Worten 2007 Partner auf der Hannover Messe werden. Im Oktober wolle sie mit einer Wirtschaftsdelegation in die Türkei reisen.
Dynamische Entwicklung
Der türkischen Zeitung "Milliyet" sagte Merkel, die Wirtschaftsbeziehungen zwischen beiden Ländern "entwickeln sich sehr dynamisch". Nach der Krise der türkischen Wirtschaft im Jahr 2001 "konnten im bilateralen Handel hohe Zuwachsraten erzielt werden". Im vergangenen Jahr habe er erneut um sechs Prozent zugenommen und habe die Grenze von 21 Milliarden Euro überschritten.
Die Zahl der deutschen Unternehmen, die sich in der Türkei engagierten, wachse beständig und liege inzwischen bei mehr als 2000, sagte Merkel weiter. Die meisten ausländischen Unternehmen, die in der Türkei investierten, seien deutsche. Die engagierten Reformen Erdogans hätten zu dieser erfreulichen Entwicklung einen wesentlichen Beitrag geleistet. Vom derzeitigen türkischen Wirtschaftswachstum "könne wir nur träumen", sagte Merkel.
Zugleich lobte die Bundeskanzlerin das unternehmerische Engagement türkischstämmiger Mitbürger in Deutschland. Diese trügen mit mehr als 60 000 zumeist mittelständischen Unternehmen zum Wirtschaftswachstum in Deutschland bei. Dabei leisteten sie auch einen wertvollen Beitrag bei der Bereitstellung von Lehrstellen. Für das gegenseitige Verständnis trügen auch die jährlichen 4,2 Millionen deutschen Türkei-Urlauber bei.