Seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine hat die EU im Rahmen von Sanktionen rund 200 Milliarden Euro an russischen Vermögenswerten eingefroren, größtenteils aus Reserven der russischen Zentralbank. Nun könnte das Geld zumindest teilweise der Ukraine zugutekommen.
Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell schlägt vor, das in Europa eingefrorene russische Vermögen zu Gunsten der Ukraine zu nutzen. Er will die Zinsgewinne aus dem Vermögen abschöpfen – mindestens drei Milliarden Euro pro Jahr. Die Mittel sollen zu 90 Prozent in Waffen und Munition für die Ukraine fließen, die restlichen zehn Prozent in die Verteidigungsindustrie des Landes. Beim Gipfel wird ein erster Stimmungstest erwartet, aber noch nicht der nötige einstimmige Beschluss.
Die "Süddeutsche Zeitung" berichtet ebenfalls von dem Gesetzesentwurf, allerdings mit einer leicht anderen Aufteilung der Zinsgewinne: Demnach sollen 90 Prozent der Erträge in einen Sonderfonds fließen, der die Mitgliedstaaten dabei unterstützt, militärische Ausrüstung für die Ukraine zu beschaffen. Die restlichen zehn Prozent sollen den Plänen zufolge dem regulären EU-Haushalt zugutekommen und würden dort für den Wiederaufbau der Ukraine reserviert.
Zinsgewinne aus Russland für die Ukraine
Laut der Zeitung handelt es sich bei dem eingfrorenen russischen Vermögen um insgesamt 260 Milliarden Euro, wovon mehr als zwei Drittel in der EU liegen. Größtenteils befinde sich dieses Geld auf Konten des belgischen Finanzkonzerns Euroclear. Der hat 2023 nach eigenen Angaben mit dem Vermögen 4,4 Milliarden Euro Gewinn gemacht, weil er es gemäß gesetzlichen Vorgaben am Kapitalmarkt reinvestiert.
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Borrell rief die EU-Staats- und Regierungschefs auf, den Weg für die Nutzung der Zinsgewinne freizumachen. Die 27 beraten am Donnerstag und Freitag in Brüssel, Hauptthema ist die Unterstützung für die Ukraine.
Baerbock offen für Borrell-Vorschlag
Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) hatte sich am Montag bei einer ersten Diskussion mit Borrell für das Vorhaben ausgesprochen. Die Bundesregierung wolle die Zinsgewinne nutzen, damit "die Ukraine sich verteidigen kann", betonte sie.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte die Brüsseler Überlegungen im vergangenen Jahr noch als "furchtbar kompliziert" bezeichnet. Auch die Europäische Zentralbank (EZB) in Frankfurt am Main äußerte Bedenken, das Vorgehen könne Investoren aus Drittländern abschrecken.
Unklar ist laut Diplomaten, ob Ungarn den nötigen einstimmigen Beschluss mittragen würde. Auf dem EU-Gipfel wird zunächst nur ein erstes Signal der Staats- und Regierungschefs erwartet.

Russland droht mit Strafverfolgung
Russland hat die EU nachdrücklich vor einer Nutzung eingefrorener russischer Vermögenswerte zur Aufrüstung der Ukraine gewarnt. Kreml-Sprecher Dmitri Peskow drohte den EU-Ländern am Mittwoch mit jahrzehntelanger Strafverfolgung. Die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa, sprach von "Banditentum und Diebstahl" und einem "beispiellosen Verstoß" gegen das Völkerrecht.
"Die Europäer sollten sich des Schadens bewusst sein, den solche Entscheidungen ihrer Wirtschaft, ihrem Image und ihrem Ruf als zuverlässige Garanten der Unverletzlichkeit des Eigentums zufügen könnten", sagte Peskow. Beteiligte Einzelpersonen und Staaten müssten "viele Jahrzehnte" lang mit strafrechtlicher Verfolgung rechnen.
Quelle: DPA, "Sueddeutsche.de", Euroclear-Bilanz für 2023, AFP.