Wenn vom 6. bis 9. Juni 2024 in der Europäischen Union gewählt wird, werden viele Bürgerinnen und Bürger nicht hingehen. Zahlreiche Menschen haben den Eindruck, in Brüssel herrsche eine korrupte Politikerelite, die nur ihre eigenen Interessen vetritt und Bürokratie aufbaut, statt sich den "wahren Problemen" zu widmen. Gleichzeitig wissen gerade Menschen in Osteuropa Werte wie Reise-, Meinungs- und Pressefreiheit sehr zu schätzen. Woran krankt es also? Warum schwindet das Vertrauen in die EU-Institutionen so rapide? Was sind die Sorgen und Hoffnungen der Menschen? Und was motiviert sie, an der europäischen Gemeinschaft festzuhalten?
Auf der Suche nach Antworten begibt sich stern-Reporter David Wünschel auf eine dreiwöchige Reise von Nord nach Süd durch den Kontinent. Wo er hält, mit wem er spricht, können auch Sie mitbestimmen. Seine Eindrücke hält er in diesem Blog sowie in Videos und Reportagen fest, die Sie täglich aktuell mitverfolgen können. Mit den Ergebnissen seiner Recherche konfrontiert er am Ende seiner Reise in einem Gespräch EU-Parlamentarierin Hannah Neumann.
„On ne fait pas jouer Platon au deuxième division.“
Egal, wer die Macht innehatte: Meist ging es bergab. Bei den Parlamentswahlen vor einem Jahr gaben gerade einmal 54 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme ab. In der Wiege der Demokratie haben viele das Vertrauen in ebenjene verloren.
Die Psychologin Anna Emmanouilidou meinte zu mir: Sie glaube stattdessen an die Selbstheilungskräfte der Griechinnen und Griechen. Diesen Glauben habe ich auch bei anderen erlebt. Bei Nikos Leontopoulos, der während der Krise in ein tiefes Loch stürzte, sich wieder freischaufelte und jetzt andere dabei unterstützt, es ihm nachzutun. Bei Helena Gavriil, die in ihrem Gesundheitszentrum all jene behandelt, die sich nicht einmal eine Krankenversicherung leisten können. Und bei Vaggelis Lygnos, der sagt: Der Staat kümmert sich nicht um die Obdachlosen, also mache ich das selbst.
Bei den Esten habe ich großes Selbstvertrauen empfunden und den festen Willen, sich vom übermächtigen Nachbarn nicht einschüchtern zu lassen. In Polen haben viele Menschen die Hoffnung, dass das Land wieder zusammenwächst, als Teil eines starken Europas. In Ungarn habe ich Schmerz und Wut darüber erlebt, dass Orbán die Demokratie verunstaltet - und Brüssel ihn gewähren lässt. Und in Griechenland habe ich viel Stolz gespürt und das große Bestreben, sich vom wirtschaftlichen Niedergang nicht unterkriegen zu lassen.
Drei Wochen, sieben Länder, 21 Menschen, die sich für mich Zeit genommen und ihre Geschichten mit mir geteilt haben.
„Europe is our home.“
Griechenland: Wo die Wunden der Wirtschaftskrise am tiefsten sind
Wenn er die Bedürftigen besucht, begegnet er ihnen auf Augenhöhe, fragt, wie es ihnen geht und was sie gerade am dringendsten brauchen. Manchmal sei das ein wenig Geld für ein Geburtstagsgeschenk, damit die Kinder auf den griechischen Inseln nicht mitbekommen, dass ihr Vater im Hafen von Piräus lebt. Andere wünschten sich einfach nur zehn Minuten Gesellschaft.
Trotzdem sei er froh, dass Griechenland Teil der EU und der Eurozone ist. Viele Experten seien nach Athen gekommen und hätten beim Wiederaufbau des Landes geholfen. "Wir müssen die Lücke zwischen armen und reichen Ländern in der EU schließen", sagt Leontopoulos. Er zähle darauf, dass die europäischen Regeln und Gesetze Griechenland dabei helfen, künftig stabiler und umweltfreundlicher zu wirtschaften.
Die Zeitung kostet fünf Euro, auf einer Seite ist sogar ein Foto von Stathis abgebildet: ein Fotograf hat viele Shedia-Verkäufer porträtiert, bald eröffnet eine Ausstellung mit den Bildern. Von jedem verkauften Exemplar behält Stathis drei Euro.