Fluchtstrategien Der Vergessene und der Gesprächige

Sie sind die Top-Feinde der US-Regierung: Der mutmaßliche Spiritus Rector der Anschläge vom 11. September, Osama bin Laden, und der gestürzte irakische Machthaber Saddam Hussein. Kaum unterschiedlicher könnten die Fluchtstrategien der beiden sein.

Die Fluchtstrategien der beiden Top-Feinde der US-Regierung, Saddam Hussein und Osama bin Laden, könnten unterschiedlicher kaum sein: Während sich der gestürzte irakische Machthaber nahezu wöchentlich per Tonband zu Wort meldet und von Versteck zu Versteck eilt, sind Botschaften des untergetauchten Terroristenführers vollständig versiegt.

Der mutmaßliche Spiritus Rector der Anschläge vom 11. September ließ zuletzt am 7. April von sich hören. Auf einem Tonband, das die Nachrichtenagentur AP erhielt, rief der El-Kaida-Chef Muslime zum Widerstand gegen Kuwait, Saudi-Arabien und andere Regierungen auf, die er als "Agenten der USA" bezeichnete. In der Aufzeichnung - nach CIA-Erkenntnissen authentisch - nimmt Osama bin Laden vage Bezug auf den Irakkrieg. Neue Bilder des bärtigen Top-Terroristen sind seit dem Sturz der Taliban in Afghanistan vor mehr als anderthalb Jahren nicht aufgetaucht.

Ein halbes Dutzend Botschaften seit dem 9. April

Seit dem Fall Bagdads am 9. April wurden von arabischen Sendern dagegen ein halbes Dutzend Botschaften Saddam Husseins ausgestrahlt. In seiner letzten Ansprache vom vergangenen Freitag ermutigte der entmachtete Präsident seine Anhänger: "Eines Tages wird die Besatzungsmacht wanken. Der Sieg ist jeden Augenblick möglich." Die CIA hält auch diese Aufnahme für echt. Am Dienstag zuvor sendete El Arabija ein Tonband, auf dem Saddam Hussein sagt, seine Söhne Odai und Kusai seien "für Gott, für die Nation, für das Volk" gestorben. Die Brüder waren am 22. Juli von amerikanischen Soldaten in der nordirakischen Stadt Mossul erschossen worden.

Nach Ansicht von Talat Massud, pakistanischer Ex-General und Sicherheitsberater, verheißt das Schweigen Bin Ladens nichts Gutes. "Saddam weiß, dass das Spiel vorbei ist. Er tut jetzt alles, um seinen Platz in der Geschichte zu sichern: als jemand, der sich gegen die Amerikaner erhob und seine beiden Söhne für die irakische Freiheit opferte", sagt Massud. "Für Osama bin Laden dagegen ist das Spiel keineswegs aus. Er will am Leben bleiben, um seine Mission fortzuführen."

"Tot oder lebendig"

Seine Zurückhaltung hat dem Terroristenführer bislang geholfen. Kurz nach den Attacken auf World Trade Center und Pentagon versprach US-Präsident George W. Bush, den saudischen Millionär zu fassen - "tot oder lebendig". Fast zwei Jahre später ist er noch in Freiheit. Und seinem Netzwerk ist es seit dem gelungen, so vermuten Ermittler, mehrere weitere tödliche Terroranschläge zu organisieren. El Kaida soll sowohl in die Anschläge auf Bali mit 202 Toten vom vergangenen Oktober als auch in die Bombenattentate in der saudiarabischen Stadt Riad im März mit 34 Toten verstrickt gewesen sein.

Geheimdienstoffiziere vermuten Osama bin Laden in der bergigen Region an der afghanisch-pakistanischen Grenze. Dort soll er von seinen engsten Getreuen sowie ultrakonservativen paschtunischen Stammesführern versteckt werden. In dem riesigen, unzugänglichen Gebiet gibt es zahllose Höhlen und versteckte Pässe. Ein idealer Fleck für den amerikanischen Staatsfeind.

Von Haus zu Haus

Saddam Hussein hetzt dagegen nach Erkenntnissen der US-Armee in den Städten des sunnitischen Dreiecks um Bagdad von Haus zu Haus. Die Strategie endete für seine Söhne mit dem Tod. Die Besatzer wollen ihre Suche offenbar von der Heimatregion des Ex-Präsidenten auf einen Wüstenstreifen Richtung Syrien ausweiten, in den Saddam Hussein entkommen sein könnte.

Bob Graham, demokratischer Senator und potenzieller Anwärter auf die amerikanische Präsidentschaft, sagte unlängst, Washington habe seine Aufmerksamkeit schon eine Weile auf Irak verlegt. Für die Bush-Regierung sei der El-Kaida-Chef zu "Osama dem Vergessenen" geworden.

Paul Haven