Spanien hat damit begonnen, afrikanische Flüchtlinge aus der Nordafrika-Exklave Melilla nach Marokko abzuschieben. Eine erste Gruppe von 70 illegalen Einwanderern wurde von Melilla per Flugzeug nach Màlaga in Südspanien und von dort über den Hafen Algeciras mit einem Schiff in die marokkanische Hafenstadt Tanger gebracht. Wie in der Nacht aus spanischen Polizeikreisen verlautete, stammten die Abgeschobenen aus Mali und anderen Ländern der Sahelzone.
Sie waren in den vergangenen Tagen von Marokko aus über die Grenze in die zu Spanien gehörende Stadt Melilla gestürmt. Marokko hatte sich bereit erklärt, im Rahmen einer Sonderregelung Flüchtlingen aus Drittstaaten die Einreise zu gestatten, sofern diese aus dem nordafrikanischen Staat illegal nach Spanien eingedrungen waren.
Exklaven Ceuta und Melilla
Die an der Nordküste Afrikas gelegenen Städte Ceuta und Melilla gehören seit Jahrhunderten zu Spanien. Beide gehen auf Gründungen der Phönizier zurück und wurden im Laufe ihrer Geschichte von Karthagern, Römern, Vandalen, Byzantinern, Westgoten und Arabern beherrscht. Spanier und Portugiesen nahmen die Städte im 15. Jahrhundert ein. Beide Städte sind heute Militärstützpunkte, deren Territorium auf der einen Seite ans Meer und auf der anderen an Marokko angrenzt. Wirtschaftlich leben sie zu einem großen Teil vom Handel mit Marokko und vom Schmuggel. Marokko erhebt Anspruch auf beide Städte. Doch selbst die Muslime in Melilla, die immerhin ein Drittel der Stadtbevölkerung stellen, wünschen keine Vereinigung mit Marokko. Ceuta hat 75.000 Einwohner, Melilla 68.000.
Zu Tode getrampelt und erschossen
Bei einem Flüchtlingsansturm auf Melilla waren zuvor sechs Afrikaner ums Leben gekommen. Mehr als 30 weitere wurden nach Angaben des marokkanischen Innenministeriums verletzt. Die Opfer seien durch Schüsse getötet oder zu Tode getrampelt worden, hieß es. Die marokkanischen Grenzposten hätten sich angesichts des Massenansturms zur Wehr setzen müssen. Auch habe es rund 300 Festnahmen gegeben. Das Flüchtlingsdrama vor den Exklaven Melilla und Ceuta hat damit seit Ende August 14 Afrikaner das Leben gekostet. Amnesty International forderte die Aufklärung der Todesschüsse am Grenzzaun von Melilla.
Rund 1000 illegale Zuwanderer hatten drei Versuche unternommen, die Stacheldrahtzäune an der Grenze zu Melilla zu überwinden. Nach Angaben der Behörden gelang es nur einem von ihnen, die zu Spanien gehörende Stadt zu erreichen. Madrid und Rabat waren am Mittwoch übereingekommen, eine Vereinbarung aus dem Jahr 1992 wiederzubeleben, die nie vollständig verwirklicht worden war. Danach lässt Marokko bis auf weiteres unter bestimmten Bedingungen aus Spanien abgeschobene Flüchtlinge wieder einreisen.
Sofort-Abschiebungen erregen Menschenrechtler
Bisher hatten die Marokkaner nur eigene Staatsbürger wieder ins Land gelassen, aber keine Flüchtlinge aus Drittstaaten. Menschenrechtler erhoben den Vorwurf, die Sofort-Abschiebungen seien ein Verstoß gegen die spanischen Ausländergesetze. "Es wäre das fatale Signal, dass Spanien aus den Verpflichtungen der Genfer Konvention zum Schutz von Flüchtlingen aussteigen will", sagte der Asylfachmann von Amnesty International, Wolfgang Grenz, der "Berliner Zeitung". Innerhalb einer Woche gab es fünf Massenanstürme von Afrikanern, die in der Hoffnung auf ein besseres Leben nach Melilla gelangen wollten.
Der spanische Ministerpräsident José Luis Rodríguez Zapatero will das Flüchtlingsproblem auch beim anstehenden EU-Sondergipfel in Großbritannien ansprechen. Er kündigte an, er wolle die anderen EU- Staaten dazu bewegen, Marokko bei der Bewältigung des Flüchtlingsproblems mehr Hilfe zu leisten.
Experten der Vereinten Nationen warnten vor einem Exodus von Afrikanern nach Europa. "Die Länder Europas sollten die Lage in den spanischen Exklaven Ceuta und Melilla extrem ernst nehmen", sagte die Sprecherin des Flüchtlingshilfswerkes UNHCR, Astrid van Genderen Stort, dem "Handelsblatt". "Die Zahl der Not leidenden Menschen Afrikas, die alles daran setzen, nach Europa zu kommen, könnte weiter ansteigen", meinte sie.