Frankreich Die LePenisierung der Köpfe

Von Marcus Rothe , Paris
Unruhen, Arbeitslosigkeit, Angst - die desolate Lage Frankreichs spielt dem Rechtsextremen Jean Marie Le Pen politische Trümpfe in die Hände. Entsprechend optimistisch führt er seinen Präsidentschafts-Wahlkampf.

"Nach meiner Wahl zum Präsidenten wird meine erste 'Auslandsreise' in die Pariser Banlieue gehen", tönt Jean-Marie Le Pen. Bescheiden war der Boss der rechtsradikalen Front National noch nie.

15 Prozent der Franzosen geben inzwischen an, Le Pen bei den nächsten Präsidentschaftswahlen in fünf Monaten wählen zu wollen - mehr als je zuvor. Die immer wieder aufflammenden Vorstadtunruhen, überforderte Sicherheitskräfte, Arbeitslosigkeit, Immigration, Angst vor der Globalisierung - die politische Aktualität und tiefe gesellschaftliche Krise Frankreichs spielt Le Pen Trümpfe in die Hände.

Zulauf unter Arbeitern und einfachen Angestellten

Vor allem unter Arbeitern und einfachen Angestellten findet er schon mehr Zulauf (bis zu 29 %) als die Vertreter der etablierten Parteien. Die Umfragewerte alarmieren. Und erinnern an das Trauma bei den Präsidentschaftswahlen vor beinahe sechs Jahren.

Damals wurde Le Pen nur neun Prozent der Stimmen vorausgesagt, bis er mit 17 Prozent der Stimmen den damaligen sozialistischen Premierminister Lionel Jospin aus dem Rennen warf. Le Pen unterlag schließlich in der Stichwahl Jacques Chirac, den selbst die Linke zähneknirschend untertützen musste. Le Pens Durchbruch aber alarmierte die französische Parteienlandschaft, löste massive Protestdemonstrationen aus, und schockte das Ausland.

Trotz seiner ungebrochenen Popularität ist unwahrscheinlich, dass der Nationalist an die Macht kommen kann, der 1999 von einem Münchner Gericht dafür verurteilt worden war, die Gaskammern als "Detail in der Geschichte" abgetan zu haben.

"Lepenisierung der Köpfe"

Die französischen Medien und Meinungsforscher aber warnen vor der "Lepenisierung der Köpfe", vor dem Einfluss seiner populistischen Ideen auf die Programme der anderen Präsidentschaftskandidaten.

Dabei wünschen sich viele der krisengeschüttelten Franzosen einen Generationswechsel. Momentan läuft alles auf das angekündigte Duell der gewinnend lächelnden Sozialistin Ségolène Royal mit dem konservativen Innneminister Nicolas Sarkozy hinaus. Royal verspricht eine "sanfte Revolution", Sarkozy will als Präsident am Umbau der Republik basteln. Beide werben mit einer verschärften Sicherheits- und Einwandererpolitik.

Der französische Wahlkampf dreht sich eben um die Gewalt in der Banlieue, um die Einwanderung und die innere Sicherheit - ausgerechnet die Paradethemen, mit denen Le Pen seit Jahrzehnten am (rechten) Rand der Gesellschaft punktet. Bei seinem Kampf gegen die illegalen Immigranten und die Kriminalität appelliert er an die Ängste und die weit verbreitete Fremdenfeindlichkeit der Franzosen. Einer Ifop-Umfrage zufolge glauben ein Drittel der Befragten, dass die Front National (FN) die politische Debatte bereichert und Sorgen der Franzosen auf den Punkt bringt.

Das bretonische Schlachtross wird herausgeputzt

Wenn es Le Pen gelingt, die für seine Kandidatur nötigen 500 Unterschriften bei den französischen Bürgermeistern zu sammeln, wird er zum fünften Mal antreten. Prostatakrebs, Schwerhörigkeit und Hüftprobleme sollen den ehemaligen Fallschirmspringer und Algerienkämpfer nicht daran hindern, wie schon 2002 in die Stichwahl zu kommen. "Er ist eine Gefahr für die Demokratie" warnen nicht nur Bürgerrechtsorganisationen wie SOS Racisme.

Der alternde Patriarch und Multimillionär träumt in seiner noblen Pariser Residenz weiter davon, in den Elysée-Palast einzuziehen. Doch zuvor muss das alte bretonische Schlachtross für sein voraussichtlich letztes Rennen aufgeputzt werden: Seine autoritär geführte Bewegung hat der 78-Jährige nach erfolglosen Putschversuchen und Abspaltungen in ein Familienunternehmen verwandelt und seine 38-jährige Tochter Marine zur Kronprinzessin erkoren.

Die Thronerbin und der Rest des Clans wollen die Front National jetzt aus der rechtsextremen Schmuddelecke holen und als regierungstaugliche Partei salonfähig machen: Ein Beraterstab entschärft die sonst so polemischen Reden, Abmagerungskuren in Schweizer Luxushotels sollen den gesundheitlich angeschlagenen Choleriker verjüngen. Selbst seine einst so zerstrittene Familie demonstriert Einheit.

Da scheint es beinahe vergessen, dass Le Pens Ex-Frau Pierrette früher halbnackt im Playboy posierte, um sich an ihrem damaligen Macho-Gatten zu rächen. Mittlerweile bereichert sich der millionenschwere Unternehmer und langjährige Europaabgeordnete zusammen mit seiner zweiten Frau Jany - unter den argwöhnischen Augen des Finanzamts - am Handel mit Champagner.

"Vater der zerfallenden Nation"

Um seine Basis über die frustrierten Protestwähler und Rassisten hinaus zu erweitern, inszeniert sich Le Pen mittlerweile als jovialer "Vater der zerfallenden Nation". Auf seinen Parteitagen geißelt er die "katastrophale Bilanz" der bisherigen Regierungen, verspricht einen Neuanfang mit drastischen Maßnahmen.

Seinem fremdenfeindlichen Programm ist er jedoch treu geblieben. Und seine aggressiven Ausfälle lassen nicht lange auf sich warten. Am Donnerstagabend machte er in einer Fernsehdebatte die Einwanderer wieder für die Misere Frankreichs verantwortlich. "Bei uns leben bereits über zehn Millionen Ausländer" schäumte er und verfiel in den FN-Jargon der alten Schule: "Wenn wir den Strom der Einwanderer nicht vollkommen stoppen, werden wir Franzosen bald eine Minderheit in unserem eigenen Land sein. Frankreich den Franzosen!"

Für seine schärfsten Konkurrenten um die Präsidentschaft, die "Wetterfahne" Nicolas Sarkozy und den "Tolpatsch" Ségolène Royal, hat er nur Spott übrig. "Sargolène" und "Ségozy" würden bloß seine Ideen kopieren. Bei der Wahl "wird sich dann zeigen, dass die Franzosen das Original bevorzugen", sagt der notorische Hochstapler, der nichts von seinem Schrecken verloren hat.