Marine Le Pen ist eine Frau, die gerne austeilt. So hat sie einen Wahlkampfauftritt für scharfe Attacken gegen Deutschland genutzt und für den Fall ihres Sieges bei der Präsidentschaftswahl die Aufkündigung gemeinsamer Rüstungsprojekte angekündigt. "Deutschland ist die Verneinung der französischen strategischen Identität", erklärte sie.
Le Pen plant nicht mehr den Frexit oder den Austritt aus dem Euro, aber will gemeinsam mit anderen nationalistischen Politikern die EU zu einem losen Staatenbund umwandeln. Sie setzt auf Atomkraft und würde Windkraftanlagen verbieten und wieder abbauen lassen. Und sie will mehr Mitbestimmung des Volks durch Referenden. Le Pen und Amtsinhaber Macron stehen sich am 24. April in einer Stichwahl gegenüber, die über den künftigen Präsidenten oder die künftige Präsidentin entscheiden wird.
Umfrage sieht Le Pen bei jungen Wähler:innen vorn
Ein Programm, was bei vielen jungen Französinnen und Franzosen Anklang findet. Schon vor der ersten Wahlrunde kam eine YouGov-Umfrage zu dem Ergebnis, dass 56 Prozent der 18 bis 24 Jahre alten Wählerinnen und Wähler Le Pen unterstützen würden. Laut des Meinungsforschungsinstituts Harris Interactive konnte der extrem linke Mélenchon mit 34,8 Prozent der Stimmen den größten Teil der Wähler im Alter von 18 bis 24 Jahren gewinnen, gefolgt von Macron und Le Pen mit 24,3 respektive 18 Prozent dieser Stimmen. Le Pen erhielt mit 30 Prozent den größten Anteil der Wähler im Alter von 25 bis 34 Jahren. Auch bei den 35 bis 49-Jährigen liegt sie vorn.
Insgesamt steht Macron aber eher in der Gunst der Menschen in Frankreich. Laut Umfragen liegt er bei 53 bis 55 Prozent – Le Pen bei 45 bis 47 Prozent.
Aber warum hat Marine Le Pen vom Rassemblement National (früher Front National) anscheinend so einen Vorteil bei den jungen Wählerinnen und Wählern in Frankreich?
Ein Grund, warum Le Pen – aber auch der linke Kandidat Mélenchon – so viele junge Wählerstimmen ergattern konnten, liegt nach Meinung von Analysten an der Anziehungskraft des von Le Pen und Mélenchon vertretenen Wirtschaftspopulismus und eine Ablehnung des Globalismus des Status quo.
Wut auf die Regierung und Anti-Establishment
Hinzu kommen eine Krise bei Lebenshaltungskosten und Preisen in Frankreich sowie die verbreitete Meinung unter den Französinnen und Franzosen, dass Macron ein "Präsident der Reichen" sei, was eine große Herausforderung für den Amtsinhaber werden könnte.
Der Anstieg der Popularität von Kandidaten am äußersten Ende des Spektrums "ist eine Manifestation der Wut auf die verlorenen Jahre ihres Lebens aufgrund der Corona-Pandemie und der Lockdowns; Teil davon ist eine Anti-Establishment-Positionierung gegen die französische Regierung", sagt der Experte für internationale politische Angelegenheiten, Julien Hoez, dem Sender CNBC.
"Darüber hinaus gibt es die generationsbedingten, wirtschaftlichen, beschäftigungsbezogenen und kulturellen Stressoren in der gesamten französischen Gesellschaft, die von Parteien wie der RN und der LFI aufgegriffen und bewaffnet wurden“, sagt Hoez und verwies auf Le Pens Rassemblement National und Mélenchons La France Insoumise.

Macron und Le Pen – für manche eine Wahl zwischen Pest und Cholera
Bei Le Pen spielt auch Wandel in ihrem Image eine Rolle. Weg von Migration und nationaler Identität, hin zu Lebenshaltungskosten und anderen sozialen Fragen. In der aktuellen wirtschaftlichen Lage stößt das auf Gehör. Laut einer am 10. April veröffentlichten Umfrage von Ipsos sind Kaufkraft und Lebenshaltungskosten für 58 Prozent der Wähler ein wichtiges Thema.
Le Pen findet da mit den richtigen Wahlkampfversprechen Anklang, wie etwa Steuersenkungen für Energie und ein Belassen des aktuellen Rentenalters für die meisten und Senken des Rentenalters für junge Menschen, während Macron es anheben will.
Auch ein Blick darauf, wie die jungen Französinnen und Franzosen auf ihre Präsidentschaftswahl blicken, verrät einiges. "Ich habe mich nicht für die Wahl registriert", sagt etwa ein 23-Jähriger vor der ersten Wahlrunde dem Sender Euronews. Eine andere, 21 Jahre alte Wählerin: "Ich weiß nicht, wen ich von den Kandidaten wählen soll."
Ein Vorteil für Le Pen könnte sein, dass die Jungen in Frankreich die Wahl zwischen Le Pen und Macron als eine zwischen Pest und Cholera empfinden. So haben aus Wut über das Ergebnis der ersten Runde der französischen Präsidentschaftswahl Studierende Gebäude der Pariser Sorbonne-Universität besetzt. Auch an der angesehenen Pariser Universität Sciences Po protestierten Studierende wegen der Wahl. In einer online verbreiteten Mitteilung von Studierenden der Universität heißt es, man weigere sich, sich mit einem zweiten Duell zwischen "dem neoliberalen und autoritären Macron und der erwiesenen Faschistin Le Pen" abzufinden.
"Macron oder Le Pen, wir sind sowieso am Arsch"
Insbesondere junge Menschen in Frankreich, von denen viele den drittplatzierten Linken Jean-Luc Mélenchon unterstützt hatten, sind enttäuscht vom Wahlausgang. Um eine Präsidentin Le Pen zu verhindern, sehen sich viele gezwungen, Macron zu wählen, obwohl sie mit seiner mittlerweile verstärkt liberal-konservativen Politik nicht einverstanden sind. "Macron oder Le Pen, wir sind sowieso am Arsch", sagt ein junger Wähler dem Sender France 24.
Ein weiter erklärt dem Sender: "Vor allem möchte ich Macron nicht wieder an der Macht sehen, deshalb zögere ich für den zweiten Wahlgang zwischen der Abgabe eines leeren Stimmzettels und der Abstimmung mit Le Pen. Marine Le Pen ist in sozialen Fragen besser als Macron." Eine rechtsextreme Präsidentin zu haben, mache ihm keine Angst, erzählt er.
Eine 19-jährige Studentin sagt France 24, sie werde ebenfalls nicht für Macron stimmen – aber auch nicht für Le Pen. Sie werde einen leeren Stimmzettel abgeben.
Junge Franzosen wählten auch schon 2017 Marine Le Pen
Die junge Unterstützung für Le Pen gibt es aber schon seit mehreren Jahren – auch schon bei der letzten Präsidentschaftswahl vor fünf Jahren. Schon damals wurde Le Pen als eine Kandidatin wahrgenommen, die Dinge verändern könne. "In Frankreich zeigen Umfragen, dass der Wunsch nach 'Veränderung' ein Schlüsselfaktor bei der Unterstützung der Jugend für Le Pen ist", sagte Professor Jim Shields von der Aston University im Jahr 2017.
Ein weiterer Grund für die Unterstützung des damaligen Front National von Le Pen von jungen Menschen war laut Shields, dass diese junge Wählergruppe sich nicht an den FN als Außenseiter-Partei erinnern konnte, als die Partei einige der radikalsten Elemente der französischen extremen Rechten vereint hat.
Auch damals schon hätten Jugendarbeitslosigkeit und geringe Sicherheit für Erwerbstätige Le Pen genutzt und der Front National einen Nerv getroffen. Man spielte mit der Enttäuschung der Wählerinnen und Wähler von den etablierten Parteien, den Konservativen und Sozialisten.
Marine Le Pen wird als "Befreierin" Frankreichs gesehen
"Wir dachten, die Rechte sei gescheitert, weil es immer noch hohe Arbeitslosigkeit und mehr Unsicherheit und soziales Elend gab", sagte Gaëtan Dussausaye 2017, als er Chef der Jugend des Front National war. "Als wir also vor fünf Jahren die Chance hatten, für die Linke zu stimmen, haben wir das getan. Aber Präsident François Hollande hat sich als genau wie der frühere Präsident Nicolas Sarkozy herausgestellt, und nichts hat sich geändert." Nur Marine Le Pen werde mit 40 Jahren Globalisierung, Multikulturalismus und brutaler Politik des freien Marktes brechen, die Frankreich geschadet hätten.
Fünf Jahre später, bei der diesjährigen Stichwahl, könnte die Unzufriedenheit der Jugend und jungen Wählerinnen und Wähler in Frankreich ein Vorteil für Le Pen sein. Mit der aktuellen Krise in der Wirtschaft durch den russischen Krieg in der Ukraine und die Corona-Pandemie, der Verdrossenheit der Jungen mit den etablierten Parteien und Macron sowie ihrem Imagewandel könnte Marine Le Pen am 24. April bei der jungen Wählerschaft vorne liegen. Ob sie damit den Sieg erringt, ist noch offen.
Weitere Quellen: Nachrichtenagenturen DPA und AFP