Ein unendlicher Krieg gegen schemenhafte, rätselhafte Feinde, fern der Heimat. Eine offensichtliche Kluft zwischen offiziellen Verlautbarungen des Weißen Hauses und der Wirklichkeit vor Ort. Eine Zeit, in der das Unbehagen der Öffentlichkeit wächst und die Unterstützung für die militärische Mission schwindet. Eine verwirrende und ständig wechselnde Rechtfertigung für den Waffengang. Eine weltweite Verdammung des Vorgehens der Amerikaner, die daran zweifelt, wofür die USA wirklich stehen. Um es vorsichtig auszudrücken: Wir haben das schon einmal erlebt. Es ist ein leichtes, über Vietnam ebenso zu schreiben wie über den Irak. Wie kann es sein, dass die Bush-Regierung die zermürbende Erfahrung der vorherigen Generation vergessen konnte?
Zur Person
John C. Hulsman war Senior Fellow am einflussreichen konservativen Politik-Forschungsinstitut "Heritage Foundation" in Washington. Seit Juli 2006 ist er "Oppenheim Scholar in Residence" bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) in Berlin. Zudem ist er Präsident und Mitgründer des Unternehmens John C. Hulsman Enterprises
Er vergaß nie, was Vietnam den Soldaten angetan hatte
Mehr als alles andere zeigt die Reise von Colin Powell zwischen diesen beiden Krisen, was Amerika gelernt und was es vergessen hat. Als Nationaler Sicherheitsberater unter Präsident Reagan, als Generalstabschef unter Präsident George H. W. Bush und als Außenminister unter dessen Sohn - Powells kometenhafter Aufstieg in der außenpolitischen Maschinerie der USA war stets angetrieben von dem, was er in seiner Jugend erlebt hatte. Seine Autobiografie "My American Journey" belegt, dass er niemals vergessen hat, was Vietnam den US-Streitkräften antat. Er verkörperte eine vorsichtige, auf Konsens ausgerichtete Art der Diplomatie, die militärische Gewalt als bisweilen notwendig erachtet - jedoch nur als letzte aller Möglichkeiten.
Powell war auf persönlichste Art und Weise dauerhaft dem geprägt, was in Vietnam falsch gelaufen ist. In den Jahren 1962 und 1963 diente er dort als Berater, wurde verwundet und starb fast an der nachfolgenden Infektion. In den Jahren 1968 und 1969 kehrte Powell nach Vietnam zurück, als Offizier der 23. Division der Infanterie. Umstritten war er, als er damit beauftragt wurde, die Umstände des My Lai Massakers zu untersuchen. Für eine zweite Mission kehrte er im Jahr 1971 zurück nach Vietnam. Diesmal wurde Powell für seinen Mut ausgezeichnet, als er im Alleingang mehrere Männer aus einem brennenden Helikopter rettete.
Die 68er im stern
Lesen Sie in Teil II der großen stern-Serie über die 68er: Die Studenten empören sich über den US-Feldzug in Vietnam. Der Krieg in der dritten Welt befeuert die Revolte in der Ersten. stern.de begleitet die Serie mit zusätzlichen Interviews, Ton- und Bilddokumenten aus der Zeit, Wissenstests und Fotostrecken.
Zu seinem eigenen Erschrecken, und das erste Mal seit Menschengedenken, musste Powell miterleben, wie sich die amerikanische Öffentlichkeit von dem durchschnittlichen Soldaten, der in Vietnam diente, abwendete. Der Rest seiner Karriere kann als Versuch gesehen werden sicherzustellen, dass so etwas nie mehr wieder geschehen würde. Als Powell in der Hierarchie der Bürokratie aufstieg, wurde er immer enger mit einer Doktrin verwoben: Setze niemals Militär ein, ohne das Ziel der Mission kristallklar zu definieren; setze niemals Militär ein, ohne starken Rückhalt in der eigenen Bevölkerung zu haben; und: setze niemals Militär ein, ohne eine überwältigende militärische Übermacht zu haben. Diese Doktrin war das direkte Ergebnis der tragischen Vietnam-Erfahrung Powells.
Powells große Stunde schlug während des ersten Golfkriegs. Damals gelang es dem Weißen Haus des ersten Bush, eine breite, aber überraschenderweise stimmige internationale Koalition zu schmieden. Diese hatte den klaren Auftrag, Kuwait zu befreien. Sie schlug nur in jenen Momenten zu, in denen Amerikas überwältigende militärische Macht zum Tragen kommen konnte. Die höchste Ironie bestand darin, dass der durchschlagende Erfolg der ersten Golfkriegs die amerikanischen Präsidenten von den Geistern von Vietnam erlöste - und gleichzeitig alle einhergehenden Lehren, die Powell zu einem hohen Preis erhalten hatte, über Bord geworfen wurden. Psychologisch betrachtet fand sich die die US-Führung nach dem ersten Golfkrieg dort wieder, wo sie vor Vietnam gestanden hatte. Powells Erfolg hatte den Boden für die bevorstehende Irak-Tragödie bereitet.
Als Folge des Anschläge des 11. September 2001 wurde diesem wieder gewonnenen triumphalen Pose noch eine Dosis nationalen Verderbens hinzugefügt. Die Neokonservativen, die bis dahin einen wichtigen aber randständigen Teil der amerikanischen Eliten vertraten, hatten plötzlich einen schlagkräftigen Slogan in der Hand: Amerika ist in seiner Macht ebenso einzigartigartig wie in seiner Verwundbarkeit. Daraus musste eine abenteuerliche Außenpolitik folgen. Während seiner vier Jahre als Außenminister kämpfte Powell in einem verzweifelten Rückzugsgefecht. Beständig jedoch wurde er von Vizepräsident Richard Cheney und Verteidigungsminister Donald Rumsfeld ausmanövriert. Im Juli 2007, nachdem er sein Amt aufgegeben hatte, machte Powell noch einmal klar, dass er versucht hatte, Präsident Bush die Invasion Iraks auszureden - freilich erfolglos. Tragischerweise trat Powell dann nicht zurück, sondern inszenierte sich vor dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen in einem mittlerweile berüchtigten Referat als Anwalt eines Angriffs. Und das alles, obwohl er die Gefahren eines solchen Kurses nur zu gut kannte und auch wusste, dass seine Belege erhebliche Schwächen aufwiesen.
Am Ende trat Powell zurück
Am Ende entschied sich Powell dafür, eher Befehlen zu folgen als aufgrund seiner wohl begründeten Prinzipien zurückzutreten. Es war der shakespearhafte Schluss einer Reise, die im Dschungel Vietnams begonnen hatte. Denn der Sturz Powells in der bürokratischen Hierarchie (am Ende der ersten Amtszeit des Präsidenten wurde er von dem damaligen Stabschef des Weißen Hauses, Andrew Card, gebeten zurückzutreten) war mehr als das traurige Ende einer herausragenden Karriere. Dieses Ende symbolisierte, dass vergessen worden war, was man in Vietnam gelernt hätte - und zu welchem Preis. Für den Irak und die Position der USA in der Welt sollte es noch schlimmer kommen.