Tod von Michail Gorbatschow Glasnost und Perestroika: Diese russischen Begriffe waren Teil unserer Alltagssprache

Michail Gorbatschow und Helmut Kohl stoßen mit Sekt an
Ein Glas auf die neue Offenheit und die deutsche Einheit: Michail Gorbatschow (li.) und der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl stoßen 1989 im Bonner Kanzleramt auf neue Zeiten an, die längst wieder Geschichte sind.
© Heinrich Sanden / Picture Alliance
Was heute kaum noch vorstellbar ist: Mit Michail Gorbatschow stand einst ein russischer Staatschef für Offenheit und Wandel. Die entsprechenden russischen Begriffe gehörten seinerzeit zu unserer Alltagssprache: Glasnost und Perestroika.

Es hat eine traurige Symbolik, dass die Nachricht vom Tod Michail Gorbatschows gerade jetzt um die Welt geht. Sie verdeutlicht noch einmal, dass allerspätestens mit dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine Gorbatschows Lebenswerk Geschichte ist – voraussichtlich unwiderruflich. Gorbatschow stand – anders als aktuell Wladimir Putin – für Offenheit und Wandel und war vor allem in Deutschland so beliebt, dass der Kosename "Gorbi" in aller Munde war. Ebenso wie die entsprechenden russischen Begriffe Glasnost und Perestroika. Jeder und jede wusste, was damit gemeint war, sie gingen in die deutsche Alltagssprache ein. In einer Zeit, die heute als Ende des Kalten Krieges sachlich bezeichnet wird, mit der aber ein Lebensgefühl der Erleichterung und Offenheit und dem Ende jener Angst vor einem aggressiven Russland verbunden war, die mit dem Ukraine-Krieg zurückgekehrt ist.

Als Hoffnung bleibt, dass auch eine Figur wie Gorbatschow eher überraschend auftauchte. Denn jahrzehntelang herrschten Willkür und Unfreiheit in der damaligen Sowjetunion, ehe der kommunistische Parteichef 1985 einen historischen Reformkurs einleitet. Mit seiner Politik von Glasnost und Perestroika will er das marode wirtschaftliche und politische System des Landes vor dem Zerfall retten. Zudem gibt Gorbatschow den Menschen in der starr von oben gelenkten UdSSR mehr Freiheiten. Die Reformen enden im Zusammenbruch des Kommunismus in Osteuropa.

Glasnost und Perestroika: Gorbatschow bricht mit Tabus

Als Generalsekretär der Kommunistischen Partei und erster Sowjetpräsident bricht der damals 54-Jährige mit zahlreichen Tabus. So benennt Gorbatschow in einer für den Kreml bis dahin ungekannten Offenheit die Verbrechen unter Sowjetdiktator Josef Stalin, insbesondere das Massaker an Tausenden polnischen Offizieren 1940 in Katyn. Er legt auch ein geheimes Zusatzprotokoll zum Deutsch-Sowjetischen Nichtangriffspakt von 1939 offen. Nach einem rund zehnjährigen militärischen Abenteuer am Hindukusch mit vielen Toten befiehlt er 1988 den sowjetischen Truppenabzug aus Afghanistan.

Den Ländern des Warschauer Pakts ermöglicht Gorbatschow, ihre Staatsform selbst zu bestimmen. Reformbewegungen wie der Prager Frühling 1968 in der Tschechoslowakei oder wie der ungarische Volksaufstand 1956 waren dagegen einst blutig niedergeschlagen worden. Die neue Freiheit unter Gorbatschow führt zum Ende des Kalten Kriegs und ermöglicht schließlich 1990 die deutsche Wiedervereinigung. Die Scorpions besingen den "Wind of Change"; der Wandel hin zur Offenheit scheint unwiderruflich.

Gorbatschow: In Russland ein Zauderer, der das Land ins Chaos stürzte 

Doch während Gorbatschow für seine mutigen Schritte im Ausland geehrt wird, unter anderem 1990 mit dem Friedensnobelpreis, wird er in seiner Heimat kritisiert. Zu seinen umstrittenen Initiativen gehört etwa ein Alkoholverbot. Auch die zögerliche Informationspolitik nach der Reaktorkatastrophe 1986 in Tschernobyl wird ihm angekreidet; dies auch international. Noch heute sehen viele Menschen in Russland den Ex-Präsidenten als Zauderer, der das Land ins Chaos gestürzt hat. Der Zerfall der Sowjetunion 1991 bedeutet auch das Ende der Ära Gorbatschow.

Der Zerfall des sowjetischen Staatenbundes gilt heute als Trauma für die aktuelle Führung im Kreml, vor allem für Präsident Putin. Nicht wenige Experten halten den Wunsch, diesen Zerfall rückgängig zu machen, für einen Hauptgrund für den Angriffskrieg auf die Ukraine.

Mit Material von DPA

dho

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