Großbritannien Traum vom Wohlstand durch Wachstum

Die Briten setzen auf Fairness, Initiative und Flexibilität, und das beschert ihnen stolze Ergebnisse bei Beschäftigung, Wohlstand und Wachstum.

Bei ihrer Machtübernahme 1997 versprach die britische Labour-Partei, nach fast 20-jähriger konservativer Herrschaft eine sozial gerechtere Gesellschaft zu schaffen. Fairness, Initiative und Flexibilität hießen die Schlagworte für die öko-soziale Ordnung von "New Labour". Sechs Jahre später kann die Regierung bei Beschäftigung, Wohlstand und Wachstum auf stolze Ergebnisse verweisen. Für die verbleibenden Jahre der jetzigen zweiten Amtsperiode von Premierminister Tony Blair forderte der "Guardian" vor kurzem jedoch "radikale gesellschaftliche Reformen ein, die in eine dauerhafte sozialdemokratische Zukunft führen."

Die Labour-These, durch wirtschaftliche Stärke soziale Gerechtigkeit zu schaffen, steht und fällt mit dem mächtigen Schatzkanzler (Finanzminister) Gordon Brown. Er will nach eigenen Worten demonstrieren, dass eine Verbindung der in Europa "häufig unterschätzten Flexibilität mit der in den USA oft fehlenden Fairness" möglich ist. Mit optimistischen Wachstumserwartungen von bis zu 2,75 Prozent, die von der Dollar-Abhängigkeit der britischen Wirtschaft ebenso gefärbt sind wie von der Außenseiterrolle in der EU, will Brown seine Ziele erreichen.

Labour hält am Ziel der Vollbeschäftigung fest

Auf dem Arbeitsmarkt hält Labour am Ziel der Vollbeschäftigung fest. Die Arbeitslosigkeit liegt bei rund 1,5 Millionen. Zur Erfolgsbilanz gehört hier das unter dem Schlagwort "New Deal" bekannte Programm, mit dem mehrere Hunderttausend jugendliche Langzeitarbeitslose mit staatlicher Hilfe an die Betriebe eingegliedert werden konnten. Das Programm soll auf Alleinerziehende ausgeweitet werden. Dieser Personenkreis soll zum Beispiel Kosten für die Arbeitssuche erstattet bekommen, wenn er sich aktiv um eine Beschäftigung bemüht.

Bei allen Maßnahmen drängt Brown auf größere Flexibilität. So sollen Arbeitssuchende künftig Anfahrtszeiten von 90 Minuten - statt bisher einer Stunde - in Kauf nehmen, wenn sie mehr als 13 Wochen lang ohne Beschäftigung waren. Steuerliche Initiativen sollen eine "flexible Reaktion" auf den Arbeitsmarkt ermöglichen. Auf lange Sicht, so die Experten, kann Großbritannien seine Produktivitätslücke gegenüber Deutschland, den USA und anderen Industriestaaten nur durch eine größere Arbeitsmarktdynamik schließen.

Kritiker: Der große Schritt steht noch aus

Die Regierung hat sich verpflichtet, die Kinderarmut bis zum Jahr 2010 zu halbieren. Mehr als fünf Millionen Familien mit Niedrigeinkommen sollen von einem neuen "Steuerkredit für Kinder" profitieren. Erstmals wurde in Großbritannien in diesem April ein "Baby-Bonus" für Neugeborene eingeführt. Rentenzahlungen haben sich unter Labour stetig verbessert. Heimarbeit soll durch Steueranreize ebenso gefördert werden wie die Einstellung einer Kinderhilfe.

Kritiker werfen Labour dennoch vor, den "großen Schritt bei der Umverteilung" bisher noch nicht gewagt zu haben. Sie fordern eine Steuerquote von 50 Prozent für Besserverdienende, um den "universellen Wohlfahrtsstaat" (Guardian) zu bauen. Die im "Ansatz beispielhaften" Gesundheits- und Bildungssysteme Großbritanniens könnten durch die Steuergelder der Reichen die internationale Spitzenklasse erreichen, schrieb die Sozialkritikerin Polly Toynbee im "Guardian".

Experten in der Londoner City fragen schon jetzt, wie Brown seine Milliardenprogramme im Sozialbereich - insbesondere bei Bildung und Gesundheit - finanzieren will, falls sich seine optimistischen Prognosen über Wachstum und Steuereinnahmen nicht bewahrheiten. Unabhängige Analytiker haben laut "Financial Times" die offizielle Voraussage einer Neuverschuldung von 24 Milliarden Pfund (36 Mrd. Euro) für das nächste Haushaltsjahr als zu niedrig bezeichnet. Nach Berechnungen der EU-Kommission stieg das britische Haushaltsdefizit schon im Jahr 2003 auf 2,5 Prozent des Bruttoinlandproduktes an.

Anna Tomforde