Erst vor gut acht Monaten war Yukio Hatoyama als Hoffnungsträger angetreten - jetzt ist er schon gescheitert. Der Rücktritt von Japans Regierungschef - er ist der vierte Premier, dessen Amtszeit kein Jahr überdauerte - ist der Schlusspunkt einer Entwicklung, die sich schon seit längerem abzeichnete. Als der Spross einer Politiker- und Industriellendynastie im vergangenen August mit seiner Demokratischen Partei DPJ einen historischen Wahlsieg errungen hatte, stand die Mehrheit des Volkes hinter dem Reformer. Er verdrängte die konservative Liberaldemokratische Partei LDP nach mehr als 50 Jahren fast ununterbrochener Herrschaft von der Macht. Hatoyama trat als Idealist auf, als einer, der es gut mit allen meint. Doch eines ließ er stets vermissen: Führungskraft.
Sein wahrscheinlicher Nachfolger, der amtierende Vize-Premier und Finanzminister Naoto Kan, könnte der Demokratischen Partei zu einer zweiten Chance verhelfen. Der 63-jährige Kan kommt ursprünglich aus der Bürgerrechtsbewegung und gilt als führungsstärker und entscheidungsfreudiger als Hatoyama. Einen Kurswechsel in der Außen- und Wirtschaftspolitik erwarten Beobachter aber unter Kan nicht.
Hatoyama hatte seine Politik unter das Motto "yuai" gestellt, das sich mit "Brüderlichkreit" übersetzen lässt. Mit hehren Schlagworten wie "Das Volk zuerst" wollte er die Politik nach jahrzehntelanger Vetternwirtschaft, Skandalen und Trägheit der herrschenden LDP grundlegend verändern.
Er hat seinem Volk Versprechungen gemacht, von denen er viele nicht einhalten konnte. Das ist in anderen Staaten nichts besonderes. In Japan aber, wo man Wahlprogramme der Parteien erst seit 1996 kennt, nehmen die Menschen solche Versprechen noch wörtlich. Und vermutlich auch Hatoyama selbst. "Hatoyama hat versucht, es möglichst vielen Menschen Recht zu machen und möglichst viele Meinungen zu hören und in seine Entscheidungsfindung einzubinden", erklärt Axel Klein vom Deutschen Institut für Japanstudien in Tokio.
Dabei war Beobachtern von vornherein klar, dass die neue Regierung nicht alles wird gleich umsetzen können. Dafür ist bei einer Staatsverschuldung von rund 200 Prozent des BIP gar kein Geld da. So scheiterte der Versuch seiner Mitte-Linke-Reformkoalition, die Verschwendung von Steuergeldern zu stoppen. Die Staatsausgaben sind im Gegenteil noch gestiegen, weil Wahlversprechen wie das Kindergeld und die Abschaffung der Schulgebühren auf Pump finanziert werden.
Auch in der Frage der Verlegung des US-Luftwaffenstützpunktes Futemma auf Okinawa wollte es Hatoyama möglichst vielen Recht machen. Er versprach zu versuchen, die Basis von Okinawa abziehen, doch er traf keine Entscheidungen. Als er schließlich beschloss, die Basis müsse aus sicherheitspolitischen Gründen auf Okinawa bleiben, verweigerte der Koalitionspartner die Gefolgschaft.
Das allein jedoch hätte nach Ansicht von Beobachtern innerhalb Hatoyamas eigener Regierungspartei nicht gereicht, ihn zu stürzen. Wäre da nicht die tiefsitzende Abneigung gegenüber seinem Partei-Generalsekretär Ichiro Ozawa. Einem Mann, der im Ruf steht, kein sauberer Politiker zu sein, der schon in der einstigen Regierungspartei LDP die Strippen zog und alten Regeln folgt.
Hatoyama und Ozawa sind beide in Finanzskandale verwickelt, etwas, was eigentlich unter der DPJ aufhören sollte. Nie verlor Hatoyama über Ozawa ein böses Wort. Zunehmend verfestigte sich der Eindruck, dass Ozawa der eigentliche Strippenzieher ist. Immer mehr wurden beide zur Belastung für die Partei. Nun forderte Hatoyama persönlich Ozawa auf, mit ihm gemeinsam zurückzutreten. Hatoyamas Rückzug von der Macht mag daher selbst am Ende noch Ausdruck seines Idealismus sein, seiner Partei und so letztlich seinem Land Gutes tun zu wollen.
Ein Machtwechsel ist dies gleichwohl nicht, denn die DPJ hat im mächtigen Unterhaus des nationalen Parlaments, das allein für die Wahl des neuen Premiers maßgeblich ist, weiter eine satte Mehrheit. Die Chance besteht aber jetzt für sie, mit einem frischen Image in die Oberhauswahl im Juli zu gehen und die dortige Mehrheit zu verteidigen, die sie für eine reibungslose Gesetzgebung benötigt.