Der verschwundene irakische Ex-Präsident Saddam Hussein soll seine Leibwächter aus Angst vor Verrat inzwischen ständig auswechseln. Das berichtet die arabische Zeitung "Al-Sharq Al-Awsat" am Dienstag unter Berufung auf Faisal el Obeidy, ein ehemaliges Mitglied von Saddam Husseins privater Fotografen-Einheit. Seit dem Tod seiner beiden Söhne Udai und Kusai, deren Aufenthaltsort in Mosul ein Iraker den Amerikanern gegen Zahlung einer Belohnung verraten hatte, lasse sich Saddam nur noch von zwei bis drei Wächtern begleiten. Washington hat für Informationen, die zu seiner Ergreifung führen, eine Belohnung von 25 Millionen US-Dollar ausgesetzt.
Der Ex-Fotograf sagte der Zeitung in einem Telefoninterview, er selbst habe Saddam zum letzten Mal im April zwei Wochen nach dem Fall Bagdads bei einem Abendessen im Hause eines Cousins in Howeidscha getroffen. Howeidscha ist ein arabisches Dorf in einer vorwiegend von Kurden bewohnten Region nahe der nordirakischen Ölstadt Kirkuk. Saddam sei gut verkleidet gewesen. Er habe sich einen Bart wachsen lassen und ein traditionelles arabisches Gewand getragen. "Er war überzeugt, dass er an die Macht zurückkehren würde", sagte Obeidy der Zeitung.
Er selbst würde Saddam Hussein schon aus Gründen der "Stammesehre" nicht an die Amerikaner verraten, sagte Obeidy. Der Ex-Fotograf erklärte, der im Irak untergetauchte Ex-Präsident schicke nach wie vor Geld an frühere Getreue, von denen viele auf seinen Befehl das Land verlassen hätten.
"Schlachtfeld" für El-Kaida-Terroristen
Nach Einschätzung von Experten der Vereinten Nationen ist der Irak zum "Schlachtfeld" für Osama bin Ladens Terrororganisation El Kaida und Anhänger anderer muslimischer Kampfgruppen geworden. Das Netzwerk von El Kaida breite sich fast ungebremst weiter aus und habe im Irak einen fruchtbaren Boden gefunden, heißt es in einem Bericht des zuständigen Ausschusses im UN-Sicherheitsrat. Der Bericht wurde am Montag in New York vorgelegt.
Darin stellt das "Sanktionskomitee für El Kaida, die Taliban und Verbündete" fest, dass Terroristen "ungehinderten Zugang" zum Irak hätten. "Durch die vielen ausländischen und nicht-muslimischen Soldaten erweist sich (der Irak) als ideales Schlachtfeld für die Gefolgsleute der von Osama bin Laden inspirierten "Muslimischen Weltfront für den Dschihad" (Heiliger Krieg) gegen die Juden und Kreuzritter", heißt es in dem Bericht, bezogen auf die Koalition unter US-Führung im Irak. Das Komitee fordert Regierungen in aller Welt auf, im Kampf gegen den Terrorismus enger zusammenzuarbeiten und auch härter gegen Terroristen vorzugehen. Diplomaten des UN-Komitees waren im September durch den Nahen Osten gereist, um Informationen für den Bericht zu sammeln.
Unterdessen kündigte UN-Generalsekretär Kofi Annan die baldige Ernennung eines neuen UN-Sonderbeauftragten für den Irak an. Allerdings werde dieser Posten bis auf weiteres nur durch einen amtierenden UN-Vertreter besetzt sein, erklärte er nach Angaben von Diplomaten in der Nacht zum Dienstag beim ersten Treffen der von ihm berufenen Beratergruppe für den Irak-Konflikt in New York.
Nach Einschätzung der UN erlaube die Sicherheitslage im Irak derzeit kein größeres Engagement der Weltorganisation, sagte der amerikanische UN-Botschafter John Negroponte nach dem Treffen vor Reportern. Der Irak-Sonderbeauftragte der UN, Sergio Vieira de Mello, war bei dem Bombenanschlag auf das UN-Hauptquartier in Bagdad am 19. August umgekommen. Annan hatte danach alle ausländischen UN-Mitarbeiter abgezogen.
Die Iraker haben nach einer Umfrage kein Vertrauen in die amerikanisch-britischen Truppen und die von den Amerikanern gelenkte zivile Übergangsverwaltung. Für die am Montag in London veröffentlichte Studie befragten die Universität Oxford und die Forschungsorganisation Oxford Research International 3244 Haushalte.
Stimmungsbild der Widersprüche
Die repräsentative Umfrage zeichnet ein Stimmungsbild der Widersprüche. So halten zwar 42 Prozent den Sturz von Präsident Saddam Hussein für "das Beste, was in den letzten zwölf Monaten passiert ist". Doch dieselben amerikanisch-britischen Truppen, die den Diktator entmachtet haben, genießen weniger Vertrauen als jede andere Institution. 79 Prozent der Befragten gaben an, "kein Vertrauen" in die Truppen zu haben. Aber auch den irakischen Parteien misstrauen 78 Prozent. Großes Vertrauen (70 Prozent) genießen nur die religiösen Führer des Landes. Den höchsten Wert unter den ausländischen Institutionen im Lande erzielten mit 35 Prozent die UN.
Aufständische haben am Montag bei Habbanija, 80 Kilometer westlich von Bagdad, eine US-Patrouille angegriffen. Wie das US- Militärkommando in Bagdad mitteilte, schossen die Rebellen mit Handfeuerwaffen aus dem Hinterhalt. Ein US-Soldat wurde schwer verwundet und erlag später in einem Feldlazarett seinen Verletzungen.
Am Sonntag starben 54 Iraker, als die US-Truppen Angriffe auf zwei Geldtransport-Konvois in der Stadt Samarra zurückgeschlugen. Bei dem Gefecht, das eines der heftigsten seit dem Sturz von Saddam Hussein war, seien am Sonntag zudem 22 Iraker und fünf US-Soldaten sowie ein mitreisender Zivilist verletzt worden, sagte der Sprecher der US- Truppen im Irak, General Mark Kimmitt. Am selben Tag wurden zwei südkoreanische Elektriker nahe der Stadt Tikrit aus dem Hinterhalt getötet. Zuvor waren am Wochenende sieben spanische Geheimdienstbeamte und zwei japanische Diplomaten auf gleiche Weise im Irak umgekommen.
Saddam-Vize El Duri soll gefasst oder getötet?
Unterdessen ist nach irakischen Angaben der frühere Stellvertreter des gestürzten irakischen Präsidenten Saddam Hussein, Issat Ibrahim el Duri, von US-Truppen gefasst oder getötet worden. Sprecher der US-Streitkräfte erklärten am Dienstag, sie wüssten nichts davon. Es wird vermutet, dass el Duri die Angriffe auf die Besatzungstruppen koordinierte. Er sei bei einer Razzia der US-Truppen in Kirkuk gefangen genommen oder getötet worden, berichtete ein ranghoher Vertreter der Kurden in Nordirak unter Berufung auf Informationen aus seiner eigenen Partei. El Duri ist die Nummer sechs auf der Fahndungsliste der US-Truppen. Sie hatten in der vergangenen Woche die Belohnung für Hinweise, die zu seiner Festnahme führen, auf zehn Millionen Dollar erhöht.