Der britische Premierminister Tony Blair war einer der wenigen, die nichts schönreden wollten: "Es macht keinen Sinn, sich hinzustellen und zu sagen, die alten Differenzen seien überwunden. Sie sind es nicht." Das war seine Bilanz eines NATO-Gipfels, der nur auf der Grundlage minimaler Kompromisse als Nachweis von Geschlossenheit verkauft werden konnte.
Für Bundeskanzler Gerhard Schröder war der NATO-Gipfel ein Erfolg, denn: "Man hat gelernt, dass man einen Krieg allein gewinnen kann, einen Frieden aber nicht." Tatsächlich hat US-Präsident George W. Bush sein Drängen auf einen NATO-Einsatz im Irak aufgegeben und geht auf seine Kritiker zu. Herausgekommen ist in Istanbul aber nur ein vager Beschluss, wonach die NATO bei der Ausbildung irakischer Soldaten helfen werde.
Chirac wird immer mehr zum Opponenten gegen Bush
Kaum war diese Entscheidung gefallen, da gab es schon unterschiedliche Auslegungen. Haben die einen bereits ein kleines NATO-Büro in Bagdad vor Augen, schließt Frankreichs Staatspräsident Jacques Chirac gerade das aus: "Ich lehne jegliche Ansiedlung der NATO im Irak kategorisch ab", wiederholte er mehrfach.
So ist der Irak-Konflikt immer noch Sand im Getriebe der Weltpolitik. Chirac hat die führende Rolle übernommen, wenn es darum geht, Bush höflich, aber unmissverständlich zu widersprechen. Der Präsident wird immer mehr zum Opponenten gegen Bush, und bremst damit europäische Ansätze zum Ausgleich mit dem Weißen Haus.
Die transatlantische Partnerschaft kommt nicht vom Fleck
Nun schickt er seinen Außenminister Michel Barnier zum palästinensischen Präsidenten Jassir Arafat nach Ramallah. Im Gegensatz zu den USA hat die EU Arafat zwar nicht völlig isoliert, doch im Zuge des israelisch-amerikanischen Boykotts gegen den Palästinenser haben auch die Europäer seit geraumer Zeit hochrangige Kontakte eingestellt. Chirac geht seinen eigenen Weg.
So kommt die transatlantische Partnerschaft nicht vom Fleck, auch wenn sich die Akteure betont geschäftsmäßig geben. Wie schon beim G8-Gipfel Anfang des Monats, so sorgten Frankreich und Deutschland auch bei der NATO dafür, dass das Angebot zur Reformarbeit mit den islamischen Ländern ein wirkliches und vor allem harmloses Angebot wird. Nichts darf aufgezwungen werden, schallt es aus Paris und Berlin.
Selbst beim Thema Afghanistan gab es keine Einigkeit
Selbst beim Thema Afghanistan, wo die NATO ihre Truppen verstärken will, gab es keine Einigkeit. Der US-freundliche NATO-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer wollte die vom Oberbefehlshaber James Jones, einem US-General, stark geförderte neue Elitetruppe der NATO ins Feld führen. Die sei dafür aber nicht gedacht, dozierte Chirac. Und außerdem sei eine zu sichtbare Präsenz der NATO in dem Land am Hindukusch gerade vor den Wahlen im September vielleicht gar nicht klug.
Das ist die gleiche Argumentation wie im Fall Irak, und sie birgt neue Konflikte. Lange hielt die Bush-Regierung wenig von der Allianz, weil ihr die Europäer in ihr - zumindest Deutsche, Franzosen, Belgier - zu weichlich waren. Nun, da die USA wieder auf ihre Bündnispartner zugehen, führen die Verantwortlichen in Paris und Berlin an, die NATO könnte vielleicht zu sehr mit den Amerikanern gleichgesetzt werden und sei gerade deshalb für politisch heikle Missionen ungeeignet.
Thomas P. Spieker, dpa