Mit versteinertem Gesicht trat Premier Romano Prodi vor das Abgeordnetenhaus. Dann forderte er das Mitte-Links-Bündnis auf, Farbe zu bekennen. "Das Schicksal der Regierung wird nicht in einem Fernsehstudio entschieden, sondern im Parlament," sagte er. Ex-Justizminister Clemente Mastella hatte sich zuvor in einer Talkshow im ersten Programm des Staatsfernsehens zu seinem Ausstieg aus der Regierung geäußert. In seiner knappen, fünfzehn Minuten dauernden Rede, stellte nun der Regierungschef die Verdienste seiner Koalition heraus - von der Haushaltssanierung bis zur Glaubwürdigkeit Italiens im Ausland. Von den Oppositionsbänken ertönten ihm Buh-Rufe entgegen. "Wir haben das Land wieder aufgerichtet", sagte Prodi - und stellte die Vertrauensfrage. "Ich glaube, ich werde es schaffen," sagte er anschließend zu Journalisten.
Aus dem Umfeld seiner Berater hieß es, Prodi sei von Mastellas Verhalten auch persönlich getroffen worden. Der Regierungschef hatte aus den Nachrichtenagenturen erfahren müssen, dass Mastella ihm die Unterstützung entzogen hatte. Erst später erhielt er den offiziellen Brief, in dem der Ex-Minister der Regierung vorwirft, man habe ihn fallen gelassen und das Mitte-Links-Experiment für gescheitert erklärt. Prodi wies zu Beginn seiner Rede den Vorwurf zurück, Mastella sei allein gelassen worden und würdigte dessen Regierungsarbeit. Der Ex-Minister habe heute eigentlich zur Lage der Justiz im Parlament berichten sollen, erklärte Prodi und wies auf "die seit fünfzehn Jahren dauernden Spannungen zwischen Politik und Richterschaft" hin. Die Politik dürfe nicht unverantwortlich handeln, die Justiz müsse im Rahmen der Gesetze die Legalität absichern, sagte Prodi. Nach den Korruptionsermittlungen gegen Mastella und seine Ehefrau war der Minister am Donnerstag zurückgetreten und hatte erklärt, er gebe seiner Familie gegenüber der Politik den Vorrang. "Es ist die erste Regierungskrise aus familiären Gründen", schrieb die Zeitung Unita spitz.
Gute Chancen für Prodi
Der Ausgang der Krise wird vermutlich vom Senat, dem italienischen Oberhaus, abhängen. Nach dem für Mittwoch angesetzten Vertrauensvotum in der Abgeordnetenkammer wird die Kammer voraussichtlich am Donnerstag abstimmen. Beobachter gehen davon aus, dass Prodi seine zerstrittenen politischen Weggefährten von Exkommunisten bis Liberaldemokraten im Senat noch einmal hinter sich bringen kann. Mit dem Ausscheiden der drei Senatoren von Mastellas Partei "Union der Demokraten für Europa" verliert Prodi jedoch die Mehrheit. Aber er könnte Abstimmungen im Senat auch weiterhin mit Hilfe der auf Lebenszeit ernannten Senatoren gewinnen. Die Mitte-Links-Regierung wäre dann gerettet, hätte jedoch eine vom Wähler legitimierte Mehrheit verloren.
Wenn Prodi an der Vertrauensfrage scheitert, eröffnen sich zwei Szenarien: vorgezogene Neuwahlen oder eine Übergangsregierung. Prodi, der in diesem Fall selbst für Neuwahlen eintritt, sieht sich bereits als designierter Kandidat von Mitte-Links. Doch um die Kandidatur wäre ein Streit zwischen ihm und seinem Gegenspieler Walter Veltroni absehbar. Der stärkste Koalitionspartner und Vorsitzende der Demokratischen Partei hat bereits angekündigt, er wolle allein kandidieren oder allenfalls mit den Grünen und Sozialisten, um nicht mit einer Vielzahl von uneinheitlichen Parteien anzutreten.
Opposition für Neuwahlen
Die Opposition, allen voran Berlusconi, dringt auf einen Urnengang, ermutigt von den Wählerumfragen, die seiner "Partei des Volkes der Freiheit" derzeit rund 40 Prozent bescheinigen. Auch Ex-Minister Mastella fordert schnelle Neuwahlen und wird sich vermutlich auf die Seite des Siegers Berlusconi schlagen. Staatspräsident Giorgio Napolitano, der nach dem italienischen Recht der Einzige ist, der das Parlament auflösen und so den Weg zu Neuwahlen freimachen kann, hielte allerdings den sofortigen Urnengang im Mai mit dem alten Wahlgesetz für ungünstig, weil keine stabilen Regierungsmehrheiten zu erwarten wären. Im Fall von Prodis Niederlage hat sich Napolitano für die Bildung einer Übergangsregierung ausgesprochen, um erst eine Wahlrechtsreform zu verabschieden. Italien mache eine "Krise des Systems" durch, erklärte das Staatsoberhaupt. Und da sei die gesamte politische Klasse gefordert, Verantwortung zu übernehmen. Doch Beobachter schließen nicht aus, dass der Präsident dem Drängen auf Neuwahlen nachgeben muss.