"Try that in a small town" Kulturkampf in 182 Sekunden: Jason Aldeans Countrysong spaltet die USA

Country-Star Jason Aldean bei einem Auftritt in Nashville im Juni.
Jason Aldean bei einem Auftritt in Nashville im Juni. Sein kontroverser Song "Try that in a small town" steht an der Spitze der US-Charts.
© Amiee Stubbs / Imago Images
Das Lied dauert nur gerade einmal drei Minuten – die Debatte darüber mehrere Wochen. Um Jason Aldeans neuen Song "Try that in a small town" entbrennt ein US-Kulturkampf. Kritiker werfen dem Sänger den Aufruf zur Lynchjustiz vor, Donald Trump und Ron DeSantis feiern das Lied.

Was ist "Text-to-Speech"?

Die Audioversion dieses Artikels wurde mittels künstlicher Intelligenz generiert. Bei der "Text-to-Speech"-Technik werden Texte automatisiert in lebensnahe Sprache übertragen. Wir beim stern haben uns zunächst dafür entschieden, nur nachrichtliche Artikel von KI-generierten Stimmen vorlesen zu lassen. Geben Sie uns gerne Feedback zur Vorlesefunktion.

Es ist der 19. Mai, als Jason Aldean ein neues Kapitel im sich immer weiter ausbreitenden Kulturkampf in den USA beginnt. Aldean, einer der bekanntesten und beliebtesten Country-Musiker des Landes, veröffentlicht mit "Try that in a small town" eine neue Single. Es ist das erste Lied, dass der 46-Jährige in diesem Jahr herausgebracht hat und es nährt bei seinen Fans die Hoffnungen auf ein neues Album. Aldean verkündet die Veröffentlichung stolz in den sozialen Medien. "Für mich fasst der Song zusammen, wie sich viele Menschen gerade fühlen. Man hat den Eindruck, dass täglich schlimme Dinge passieren und für viele von uns fühlt sich das ungewohnt an. Dieses Lied wirft ein Licht darauf", schrieb Aldean bei Instagram. 

Welche "Dinge" Aldean meint, wird klar, wenn man sich den Song genau anhört. Aldean singt von den Zuständen in den Großstädten, in denen Chaos und Ausschreitungen zu der Tagesordnung gehörten. Aldean spielt mit dem republikanischen und von Ex-Präsident Donald Trump gerne weiterverbreiteten Narrativ, dass die US-Großstädte wahre Höllenlöcher sind, in denen keine Gesetze mehr gelten, während auf dem Land noch Recht und Ordnung herrschen. Erst vor wenigen Tagen wütete Trump gegen Washington, als er in der Hauptstadt wegen des Versuchs, das Ergebnis der Präsidentenwahl 2020 zu kippen, angeklagt wurde. Trump bezeichnete Washington DC auf seinem Netzwerk Truth Social als "dreckige, schmutzige, auseinanderfallende und sehr unsichere Stadt" ehe er die Lüge verbreitete, er sei von seinen politischen Gegnern verhaftet worden. Dass die Großstädte zumeist von Demokraten regiert werden, während ländliche Regionen häufig fest in republikanischer Hand sind, versteht sich bei der Erzählweise quasi von selbst.

Auszüge aus "Try that in a small town"

"Sucker punch somebody on a sidewalk, Carjack an old lady at a red light, Pull a gun on the owner of a liquor store, Ya think it's cool, well, act a fool if ya like

"Cuss out a cop, spit in his face, Stomp on the flag and light it up, Yeah, ya think you're tough"

"Well, try that in a small town,  See how far ya make it down the road, Around here, we take care of our own, You cross that line, it won't take long, For you to find out, I recommend you don't try that in a small town"

(Schlag jemanden auf dem Gehweg nieder, klaue einer alten Frau an einer Ampel das Auto, bedrohe einen Ladenbesitzer mit einer Waffe, du denkst, dass sei cool, nun gut, benimmt dich doch wie ein Trottel, wenn du willst

Beschimpf einen Polizisten, spuck in sein Gesicht, tritt auf die Flagge und zünde sie an, ja, du denkst, du bist tough

Versuch das in einer Kleinstadt und sieh, wie weit du damit kommst. Hier passen wir auf einander auf und wenn du die rote Linie überschreitest, wird es nicht lange dauern, bis du das herausfindest. Ich rate dir, versuch das nicht in einer Kleinstadt). 

Jason Aldean: "Try that in a small town" spielt auf konservative Werte an

Aldean spielt auf ur-republikanische Themen an, singt von der Waffe, die er von seinem Großvater geerbt hat, die "Sie" ihm wegnehmen wollen. Wer "Sie" sind, bleibt unklar, jedoch dürfte es eine Anspielung auf die Demokraten sein, die eine Verschärfung des laschen Waffenrechts in den USA fordern sowie eine Anspielung auf die Verschwörungstheorie, dass die Regierung den Amerikanern die Waffe wegnehmen will. Dabei hat Aldean Waffengewalt hautnah erlebt. Im Oktober 2017 stand er beim "Route 91 Harvest"-Festival in Las Vegas auf der Bühne, als ein Mann das Feuer auf die Menge eröffnete und 60 Menschen tötete. Es ist bis heute das tödlichste Shooting in der Geschichte der Vereinigten Staaten.

An dieser Stelle hat unsere Redaktion Inhalte von Youtube integriert.
Aufgrund Ihrer Datenschutz-Einstellungen wurden diese Inhalte nicht geladen, um Ihre Privatsphäre zu schützen.

Die Veröffentlichung des Songs selbst aber sorgte noch nicht für einen empörten Aufschrei in den USA. Entgegen anderer Lieder des Country-Stars war "Try that in a small town" alles andere als ein Chartstürmer – bis Aldean Mitte Juli das Video zu dem Lied veröffentlichte und Öl in das bis dato nur glimmende Feuer goss. Mit seiner Band steht der 46-Jährige vor einem Gebäude, auf das Bilder von Unruhen, Plünderungen und Angriffen auf Polizisten projiziert werden. Dass einige dieser Aufnahmen gar nicht aus den USA stammen, sondern in Kanada gefilmt wurden, war den Machern vielleicht nicht aufgefallen. Für die größte Kritik sorgte jedoch der Ausschnitt von "Black Lives Matters"-Protesten, die auf dem Gebäude gezeigt wurden – einem Justizgebäude in Maury County, wo 1927 ein Schwarzer von einem weißen Mob gelyncht und aus dem Fenster des Justizgebäudes erhängt wurde. 

Musikprofessor: Aldean bedient rassistische Stereotype

Schnell sah sich Aldean dem Vorwurf ausgesetzt, mit Text und Video zur Selbstjustiz und Lynchmorden aufzurufen. "Ich komme aus einer Kleinstadt. Selbst Leute in Kleinstädten haben die Gewalt satt. Es ist nichts kleinstädtisches oder amerikanisches daran, Gewalt zu fördern. Das solltest du, der ein Shooting überlebt hat, besser als irgendjemand anderes wissen", erklärte Country-Star Sheryl Crow. Sein Lied habe nichts amerikanisches oder kleinstädtisches an sich. "Es ist nur lame." Crow stammt aus Kennett, Missouri, einer Stadt mit rund 10.000 Einwohnern. Aldean wuchs in Macon, Georgia, auf, einer Stadt mit knapp 156.000 Einwohnern und lebt heute in Nashville

"Als jemand, der sein Leben meistens in Städten mit weniger als 1000 Einwohnern verbracht hat, liest sich das, als ob Jason Aldean jemanden lynchen will. Ich frage mich, ob er vielleicht ein rassistisches, ehebrecherisches, alkoholkrankes Stück Scheiße ist?", schrieb ein Nutzer auf Twitter. "Was Jason wirklich zu sagen versucht, ist: 'Ich habe Angst vor schwarzen Menschen. Ich vermisse rein weiße Enklaven'", schrieb ein anderer Nutzer. Shannon Watts, die Gründerin der Anti-Waffen-Bewegung "Moms demand action" äußerte ebenfalls auf Twitter ihr Missfallen: "Jason Aldean, der während eines Shootings in Las Vegas auf der Bühne stand, hat einen Song veröffentlicht, der sich darum dreht, dass er und seine Freunde dich erschießen wollen, wenn du versuchst, ihnen die Waffen wegzunehmen."

Philip Ewell, Professor für Musiktheorie am Hunter College in New York, erklärte gegenüber dem "Hollywood Reporter", dass sich in dem Lied rassistische Stereotype verbergen. Als Beispiel zieht er die Zeile "Bedrohe den Besitzer eines Alkoholgeschäfts mit der Waffe" heran. "Jemand der ein Alkoholgeschäft ausraubt – in den Köpfen der Amerikaner ist das, ohne dass es gesagt wird, eine schwarze Person. Das hat sich so in unseren Köpfen festgesetzt, das muss so sein", betont Ewell. Wenn man eine solche Zeile in ein Lied einbaue, dann untermale man das Bild, dass der Täter schwarz ist und der Ladenbesitzer weiß oder asiatisch. "Jeder sollte verstehen, dass es in dem Lied einen starken rassistischen Unterton gibt. Die Rasse ist Teil des Textes. Ich denke, dass das ziemlich offensichtlich ist", urteilt der Musikprofessor.

Ähnlich sieht es auch Don Cusic, Musikprofessor und Country-Musik-Historiker an der Belmont University in Nashville. "Was die Leute aufregt, sind die verschlüsselte Sprache und die verschlüsselten Bilder. Jemand in einem Hoodie, der einen Laden überfällt, könnte auch ein Weißer sein, aber die Implikationen gehen weit darüber hinaus. Wenn du Schwarz bist, hast du eine ganz andere Sichtweise auf das Video als ein Weißer", so Cusic. Er sehe hinter dem Video auch keinen Zufall, sondern eine Absicht. "Sie wussten, was sie mit diesem Video taten. Es gibt in diesem Land mittlerweile eine riesige Mauer, die die USA spaltet. Und anstatt ein paar Steine von dieser Mauer zu nehmen, hat Aldean weitere Steine oben drauf gesetzt – oder zumindest hat es das Video getan."

Der Musiker wehrte sich auf Twitter gegen die Anschuldigungen. "Mir wurde vorgeworfen, einen Pro-Lynching-Song veröffentlicht zu haben und dass mir die Black-Lives-Matter-Proteste nicht gefallen haben. Diese Vorwürfe sind nicht nur unbegründet, sondern auch gefährlich", erklärte Aldean. Es gebe in seinem Text nicht eine einzige Zeile, die sich auf Rasse beziehe oder darauf verweise und alle gezeigten Videoschnipsel stammten aus den Nachrichten, verteidigte sich der Musiker. Der Song sei für ihn ein Bezug zum Gefühl der Gemeinschaft, in der er aufgewachsen sei. Einer Nachbarschaft in der man einander geholfen habe, "unabhängig vom Glauben oder den Hintergründen". 

Trump und DeSantis unterstützen Country-Star

Dass Aldean mit seinen politischen Ansichten nicht hinter dem Berg hält, ist in den USA nicht neu. Zum Start seiner Tour im Herbst 2021 verkündete Aldean den johlenden Fans, dass die "beste Nachricht ist, dass keiner von euch eine Maske trägt" – zu einem Zeitpunkt, als die nächste Corona-Welle über die USA schwappte. Als Aldeans Frau Brittany im vergangenen Jahr mit transphoben Aussagen für Aufsehen sorgte, wandten sich nicht nur einige Stars der Country-Szene gegen das Paar, Aldean wurde auch von seiner PR-Firma fallen gelassen.

An dieser Stelle hat unsere Redaktion Inhalte von Twitter / X integriert.
Aufgrund Ihrer Datenschutz-Einstellungen wurden diese Inhalte nicht geladen, um Ihre Privatsphäre zu schützen.

Neben der Unterstützung vieler Country-Music-Fans wurde Aldean der Rücken von führenden Republikanern gestärkt. "Wenn dich die liberalen Medien attackieren, dann hast du etwas richtig gemacht. Jason Aldean muss sich für nichts entschuldigen", schrieb der Präsidentschaftskandidat Ron DeSantis auf Twitter. In die Lobeshymnen stimmte auch Ex-Präsident Donald Trump ein. "Jason Aldean ist ein fantastischer Typ, der gerade einen tollen neuen Song veröffentlicht hat. Ihr müsst Jason unterstützen", forderte Trump auf seinem sozialen Netzwerk Truth Social. Bei seinem Wahlkampf in Erie, Pennsylvania, wurde das komplette Video vor Trumps Auftritt auf einem Videowürfel abgespielt.

South Dakotas Gouverneurin Kristi Noem zeigte sich "geschockt von dem Versuch, Jason und seinen Glauben zu canceln." Noem, die kürzlich auf einer Konferenz der Waffenlobby NRA erklärte, dass ihre zweijährige Enkelin eine Shotgun besitzt, die sie bald brauchen werde, veröffentlichte auf Twitter eine Botschaft an Aldean. "Ich möchte, dass er und seine Frau wissen, dass wir ihn unterstützen. Wir lieben sie. Danke, dass ihr einen Song geschrieben habt, hinter dem sich Amerika vereinen kann“, erklärte Noem und lud Aldean ein, vor ihrem Amtssitz ein Konzert zu spielen.

"Try that in a small town" springt an Spitze der US-Charts

Dass die Kombination aus Song und Video von "Try that in a small town" dann vielleicht doch zu weit ging, fiel auch der Plattenfirma des Musikers auf. Vier Tage nach Veröffentlichung des Videos nahm CMT, einer der wichtigsten Country-Musik-Sender des Landes, das Video aus dem Programm, die Plattenfirma tauschte auf Youtube das Originalvideo gegen ein Neues aus. Das 182 Sekunden lange Video beinhaltet nun nicht mehr die Szenen der Black-Lives-Matter-Proteste. Die Debatte über den Song geht aber unvermindert weiter. 

Für Aldean haben sich die Schlagzeilen gelohnt. War der Song vor der Veröffentlichung im Video eigentlich nur den Fans bekannt, stürmt er mittlerweile die Hitlisten. In den Billboard Charts, der wichtigsten Hitliste des Landes, thront "Try that in a small town" seit dieser Woche an der Spitze – es ist der erste Hit Aldeans, der es auf Platz eins der Billboard 100 schafft. Und auch die laufende Tournee des 46-Jährigen profitiert vom Kulturkampf um seinem neuen Song: fast alle Arenen sind ausverkauft.

 

Transparenzhinweis: Der stern gehört wie BMG zum Bertelsmann-Konzern.

PRODUKTE & TIPPS

Kaufkosmos