Denis Atangana nennt es: Senioren-Kriminalität. Der 37-jährige Oppositionelle grinst und senkt die Stimme. Sätze wie diese können in Kameruns Hauptstadt Jaunde gefährlich werden, gerade kurz vor der Wahl an diesem Sonntag. "Alterskriminalität ist doch ein viel größeres Problem als Jugendkriminalität in diesem Land."
In Kamerun tritt der älteste Präsident der Welt, Paul Biya, mit 92 wieder an – einer seiner Slogans: "Das Beste kommt erst noch." Als Biya 1982 ins Amt kam, wurde Helmut Kohl gerade Bundeskanzler, Steve Jobs bastelte noch am ersten Mac-Computer. Das ist 43 Jahre her. Länger ist weltweit nur der Diktator des zentralafrikanischen Nachbarlands Äquatorialguinea an der Macht.
Die Alten haben die Macht – die Jungen wollen vor allem weg
Biyas Generation hat Afrikas Präsidentenpaläste immer noch fest im Griff. Mehr als ein Drittel der Staatschefs ist über 70. In Malawi wurde zuletzt ein 85-Jähriger vereidigt, in Namibia letztes Jahr übergangsweise ein 84-Jähriger. In Uganda feiert Yoweri Museveni, 81, bald dreißigjähriges Amtsjubiläum, und in der Elfenbeinküste stellt sich Präsident Alassane Ouattara mit 83 zum vierten Mal zur Wahl. Man sei doch nicht in Kamerun, schimpfen seine Gegner dort.
Den alten Machthabern steht der jüngste Kontinent der Welt entgegen. Kinder und Jugendliche unter 19 machen die Hälfte aller Afrikanerinnen und Afrikaner aus. In Kamerun sind von etwa 30 Millionen Einwohnern ganze 25 Millionen unter 43 – eine Zeit vor Biya haben also fünf von sechs Menschen nie erlebt.
60 Prozent der Kameruner unter 35 würden gerne auswandern, ergab vergangenes Jahr eine Umfrage. Ein Viertel der jungen Leute ist der Weltbank zufolge weder in Arbeit noch in Ausbildung. Offiziell herrscht fast Vollbeschäftigung, aber Ökonomen schätzen, dass mehr als zwei Drittel der Beschäftigten von ihrem Job allein nicht leben können.
Hat eine Generation das System gekapert?
"Viele junge Menschen fühlen sich im Exil im eigenen Land", sagt Atangana. "Wir leben in einer Gerontokratie. Weil die Alten alles blockieren, während ihre Kinder keine Arbeit finden. Und weil wir Jungen nicht verstehen, dass wir die Mehrheit sind." Atanganas Partei stellt mit dem 38-jährigen Hiram Iyodi den jüngsten der elf Gegenkandidaten Biyas. Chancen haben, wenn überhaupt, die zwei ältesten. Sie sind 76 und 77.
Der Politologe Kinang Derick Fai sagt, "Es ist eine bestimmte Generation, die das System gekapert hat und die Chancen einfach untereinander verteilt". Mit 37 leitet er in Kamerun eine zivilgesellschaftliche Organisation namens Civic Watch, die Jugendlichen Skills zur politischen Teilhabe zu vermitteln versucht.
Fai beobachtet, dass junge Menschen sich großteils von der Politik abgewandt hätten. Sie hielten sie für ein dreckiges Spiel. "Sie haben das Gefühl, dass die jungen Leute es in der Vergangenheit versucht haben und viele von ihnen als Verlierer endeten, weil das System alle notwendigen Maßnahmen ergreifen musste, um jeden möglichen Aufstand der Jugend zu unterdrücken."
Viele erfolgreiche Vorbilder gibt es auf dem Kontinent nicht: In Senegal gelang mit der Wahl des heute 45-jährigen Bassirou Diomaye Faye der Generationenwechsel. Jünger sind nur die Männer in Uniform, die sich in Mali, Tschad, Guinea und Burkina Faso an die Macht geputscht haben.
"Man kann einen Staatschef doch nicht einfach ausprobieren!"
Biya ist ein Autokrat. Die NGO Freedom House bewertet die politische Freiheit in Kamerun mit 15 von 100 Punkten, die der Präsidentschaftswahlen mit 0 von 4. Seine Partei verteilt Posten und Gelder, kontrolliert, wer an den Wahlen teilnehmen kann und lässt den Sicherheitsapparat derart einschüchternde Exempel statuieren, dass sich kaum noch wer zu protestieren traut. 2008 erschossen Sicherheitskräfte Dutzende Demonstranten. Andere sitzen nach friedlichen Demos vor fünf Jahren noch immer im Gefängnis.
Dass Biya nun doch wieder antritt, löste diesen Sommer trotzdem Unruhe aus. Sein Kabinett trifft er nur noch alle paar Jahre mal, immer mehr Zeit verbringt er in einem Luxushotel in Genf. Siegt er, wie weithin angenommen, steigt das Risiko, dass er im Amt stirbt. Selbst im Regierungslager kam die Frage auf: Ist es nicht an der Zeit, über einen Wechsel nachzudenken?
Descartes Akono Ze, PR-Mann in Biyas Präsidentenpartei, lächelt, als sei das absurd. "Man kann einen Staatschef doch nicht einfach so mal ausprobieren", sagt der 36-Jährige. "Wir haben den Mann ausgesucht, der schon gezeigt hat, dass er fähig ist. Wir haben doch kein zweites Land in Reserve, um zu sagen, wir testen mal jemand anders."
Biyas Gegner spielen auf Zeit
Gefahr droht Biya vor allem aus seiner eigenen Generation. Gleich zwei langjährige Minister kehrten ihm den Rücken und treten selbst an. Ihre Rolle bestand jahrzehntelang darin, Biya die Stimmen im bevölkerungsreichen Norden des Vielvölkerstaats zu beschaffen. Deren drohender Verlust lockte sogar den Staatschef selbst in den Norden, sein einziger Wahlkampfauftritt überhaupt.
Hört man sich in der Hauptstadt Jaunde um, so hat Ex-Kommunikationsminister Issa Tchiroma Bakary trotz seiner 76 Jahre auch unter jungen Leuten viele Unterstützer. Dass er das System von innen kennt und nun aus dem Nähkästchen plaudert, gerät ihm zum Vorteil. An Biyas Sieg zweifelt trotzdem kaum einer. Er muss nur eine einfache Mehrheit bekommen - für die tief verwurzelten Gefälligkeitsnetzwerke seiner Partei wird das nicht schwer. Offen ist, was danach passiert.
"Natürlich wird Biya gewinnen", sagt Atangana. "Man wird nicht Präsident, in dem man improvisiert. Die Macht ist gut vorbereitet und hat eine Strategie." Er allerdings auch. Das Ziel seiner Partei sei nicht diese Wahl. Aber nächstes Jahr sei man dann bei den Parlamentswahlen bekannter und könne so die eigenen Netzwerke ausbauen. "Um ein System zu bekämpfen, muss man das System studieren", sagt er. "Spielen Sie Schach?"