Es war über Wochen nicht mehr als eine Frage. Etwa wenn einen Freunde, Nachbarn, Bekannte im politverwöhnten Washington ansprachen, wie es denn so sei im Wahlkampf im fernen Iowa. Wie er denn so sei, dieser Obama? Der Neue. Ob er denn wirklich eine Chance habe gegen Hillary? Gegen die Erfahrene, die Insiderin. Und immer, wenn die Rede auf Barack Obama kam, schwang eine neugierige Begeisterung mit. Eine Erwartung. Als wollte man sich endlich trauen, einen Neuanfang zu wagen. Als warte man nur auf einen Anstoß. Und der musste aus Iowa kommen.
Seit Donnerstagabend lässt sich die Begeisterung in Zahlen ausdrücken: Barack Hussein Obama, 46, hat die erste Runde im Kampf um die Präsidentschaftskandidatur klar für sich entschieden. Er liegt neun Prozent vor Hillary Clinton. Die Wähler in Iowa haben sich getraut - doppelt so viele wie noch vor vier Jahren traten in die Eiseskälte von Iowa und stimmten für ihren Kandidaten. Und es scheint, als hätten sie für einen echten Neubeginn votiert, für die Ära nach Bush - und nach Clinton.
Misstrauensvotum gegen Clinton
Und damit auch für einen Neuanfang Amerikas in der Welt. Ein neues Gesicht, schwarz und jung und nach vorn schauend. Inspirierend. Ein in sich ruhender Versöhner, ein Hoffnungsträger mit hohem Glamourfaktor. Er gab die Devise aus: kein würdeloser Schmutzwahlkampf. Offenbar kam seine Botschaft auch bei den unabhängigen Wählern an - bei denen, auf die Hillary Clinton bislang gesetzt hatte. Und sein Sieg in einem mehrheitlich weißen und eher konservativ ländlich geprägten Staat ist zugleich auch eine machtvolle erste Antwort auf die Frage: Ist Amerika bereit für einen schwarzen Präsidenten? Seit Donnerstagabend ist Barack Obama ein landesweit ernst zu nehmender Kandidat.
Mit gefrorenem Lächeln im Gesicht tat Hillary Clinton so, als habe sie eigentlich gar keine Niederlage erlitten. Dabei galt sie noch vor wenigen Wochen als unausweichliche Siegerin. Jetzt hat sie noch nicht einmal Platz zwei erreicht - das kommt einem Misstrauensvotum gleich.
Und das, obwohl sie Iowa in den vergangenen Wochen mit der geballten Macht ihrer Wahlkampfmaschinerie überzogen hatte, mit Helikopter-Tour und ihrem Mann Bill und Tochter Chelsea und Mutter Dorothy. Obwohl sie sich um jede Stimme bemühte, als wäre es die wichtigste. Obwohl sie sich noch am Tag der Wahl in einem Zwei-Minuten-Fernsehspot als warmherzige, hilfsbereite Hillary von nebenan präsentiert hatte, als kompetente Fleißarbeiterin. Doch offenbar konnte sie die entscheidende Frage nicht beantworten: Wer ist sie wirklich? Will sie Wandel? Oder doch nur die Macht und die Dynastie Clinton? Und hatte sie sich nicht geriert, als ob ihr die Präsidentschaft quasi zustehe? Ihr, die so hart dafür gekämpft hatte.
Sie konnte nicht punkten gegen den Zauberer Obama mit seinem wunderbar eleganten Wahlkampf, der Hoffnug verbreitet und die Ängste der Menschen erkennt. "Die Menschen wollen Überzeugungen, keine Wahltaktik. Sie wollen Prinzipien, keine Politik nach Meinungsumfragen", sagte er und lächelte. Und jeder wusste, wer gemeint war. Es war nicht George W. Bush.
Iowa allein bringt nicht den Sieg
Rasch gaben Clintons Berater und Spindoktoren die Botschaft aus: "Schon immer war klar, Iowa würde schwierig. Niemand bekommt eine Präsidentschaftskandidatur geschenkt." Doch es kann nicht darüber hinwegtäuschen: Der Nimbus ihrer Unbesiegbarkeit ist dahin. Denn faktisch hat Hillary Clinton ja auch gegen den lachenden Dritten im Kampf um die Kandidatur verloren. Gegen John Edwards, den Mann, der alles auf Iowa setzte. Und auch er kam mit einer Botschaft an, die auf echten Wandel setzt, auf eine neue Zeit jenseits der Bushs und Clintons.
Der smarte Rechtsanwalt und Sohn eines Minenarbeiters, vor vier Jahren schon einmal Vizepräsidentschaftskandidat, schaffte es, die Sorgen der Arbeiter und der Mittelklasse zu bündeln: Sorgen vor dem wirtschaftlichen Abstieg, die Wut auf die Lobbyisten in Washington ebenso wie auf die Konzerne, die gierigen Profiteure der Globalisierung. In den vergangenen Jahren war Edwards, selbst Vielfachmillionär, in Iowa faktisch zu Hause. Er hatte am längsten, am ausdauerndsten Wahlkampf gemacht, alle 99 Kreise besucht, die meisten gleich mehrfach. Dies haben die Wähler honoriert. Doch jetzt muss er zeigen, dass er wirklich gewinnen kann. Und das wird verdammt schwer für Edwards.
Wie Barack Obama setzt auch John Edwards jetzt auf das "das Momentum von Iowa". Auf den "bounce", der angeblich exakt fünf Tage nach dem ersten Sieg wirken soll. Auf jene magische Explosion der Popularität, die ihn zu einem Sieg - oder zumindest auf einen zweiten Platz - in den Vorwahlen von New Hampshire kommende Woche tragen soll. Und so, im Dauerfeuer der Nachrichten, soll jene nationale Bekanntheit entstehen, die man braucht, um am 5. Februar, dem "Tsunami-Dienstag", die Vorwahlen in 23 weiteren Bundesstaaten zu gewinnen.
Das Momentum von Iowa spricht für Barack Obama. "Wir sind eine Nation, wir sind ein Volk. Und unsere Zeit für den Wandel ist gekommen", dankte er seinen jubelnden Wählern. Doch es ist ein langer Weg bis zur Präsidentschaftskandidatur. Noch führt Hillary Clinton in den nationalen Umfragen weit vor Barack Obama. Sie setzt auf die großen Bundesstaaten wie New York und Kalifornien, die viele Delegierte auf den Wahlparteitag im Sommer entsenden. Doch ihr Vorsprung ist in den vergangenen Wochen gewaltig zusammengeschmolzen.
Clinton unter Druck
Hillary Clinton muss in fünf Tagen in New Hampshire gewinnen. In dem Bundesstaat, in dem sich schon einmal das Schicksal der Clintons entschied: 1992, als die Affäre ihres Mannes mit einer gewissen Gennifer Flowers Schlagzeilen machte. Damals schien der Gouverneur aus Arkansas schon erledigt. Doch dann setzte sich seine Frau mit ihm händchenhaltend auf ein Sofa und überzeugte die Wähler. Bill Clinton kam bei den Vorwahlen auf Platz zwei. Er war das Comeback Kid. Und gewann die Präsidentenwahl.
Hillary Clinton wäre nicht Hillary Clinton, wenn sie jetzt nicht kämpfen würde. Jetzt erst recht. Noch nie hat sie das Handtuch geworfen. In den kommenden fünf Tagen soll Bill Clinton mit ihr auf Wahlkampftour gehen. So macht sie die Wahl auch zu einer Abstimmung über die Präsidentschaft ihres charismatischen Mannes.
In New Hampshire wird sich möglicherweise auch das Schicksal eines republikanischen Kandidaten entscheiden - Mitt Romney, der ehemalige Gouverneur aus dem benachbarten Massachusetts, der Mormone und schwerreiche Unternehmensaufkäufer, dessen Vermögen auf weit über 200 Millionen Dollar geschätzt wird. Viele davon hatte Mitt Romney in den Wahlkampf von Iowa investiert - doch den sicher geglaubten Sieg schnappte ihm ein Bassgitarrespielender Ex-Gouverneur und Berufsprediger weg: Mike Huckabee, ein Mann, der nie um eine Pointe verlegen ist. Sein Sieg zeigt, wie unzufrieden die religiös-konservative Basis mit den anderen republikanischen Kandidaten ist - mit dem aalglatten Mitt Romney, mit dem unberechenbaren Rudolph Giuliani, selbst mit dem aufrechten Patrioten John McCain. In Mike Huckabee findet gerade das konservative Amerika eine neue Stimme - einen Mann, der sich als christlicher Führer präsentiert und die Nation für Christus zurückerobern will.
Und wie Barack Obama symbolisiert Mike Huckabee den Wunsch nach glaubwürdigem Wandel. Es war nur ein eiskalter Winterabend in Iowa. Rund 300.000 Menschen haben über die Kandidaten ihrer Partei abgestimmt. Es war nur die erste Etappe in einem langen Rennen. Fünf Tage noch bis New Hampshire.