Ganze Wohnviertel sind an Libyens Küste verschwunden, weggerissen von den Wassermassen, die der Mittelmeer-Hurricane brachte. Nach dem Unwetter am Sonntag hat es vor allem die Küstenstädte Darna, Dschabal Al-Achdar sowie die Städte Al-Mardsch und Susse getroffen. Auch Al Bayda und die wichtige Hafenstadt Bengasi sind betroffen. Anwohner von Darna, wo Staudämme brachen, berichten von einer meterhohen Flutwelle. Nun werden für die vielen Opfer Massengräber ausgehoben.
Libyen meldet bisher offiziell 5300 Tote, wohl mehr 10.000 Menschen werden noch vermisst. Der Bürgermeister von Derna geht sogar für seine Stadt allein von mehr als 10.000 Toten aus.
Wie sieht es in den Städten aus?
In manchen Städten, wie Darna, riss eine Flutwelle Häuser und Autos mit, in anderen Gebieten stieg der Wasserspiegel nur langsam an. Dort sind die Wasserstände hoch, Menschen sind in ihren Häusern gefangen, Retter gelangen nur schwer oder gar nicht zu ihnen. Die Erreichbarkeit der Menschen an abgeschnittenen Orten ist gerade das größte Problem der Helfer.

Was machen Rettungsorganisationen vor Ort?
Helferteams aus Libyen und der Türkei sind vor Ort, aber auch auch Rotkreuzgesellschaften, wie das Norwegische Rote Kreuz, das Deutsche Rote Kreuz und das Internationale Komitee vom Roten Kreuz. Dieses transportiert jetzt vor allem Lebensmittel aus Lagern, die schon in Libyen vorhanden sind. Der türkische Rote Halbmond – eine Partnerorganisation des Roten Kreuzes – bringt Notunterkünfte und Baumaterial nach Libyen. Auch das Technische Hilfswerk bereitet die Entsendung von Zelten und anderen Hilfsgütern vor. Das Deutsche Rote Kreuz kümmert sich vor allem um die Versorgung mit Wasser, Sanitär und Hygiene. Der Leiter der Abteilung Internationale Zusammenarbeit beim Deutschen Roten Kreuz, Christof Johnen, sagte im Deutschlandfunk, nach Überschwemmungen sei das Gesundheitsrisiko eine der größten Gefahren. “Sei es durch stehendes Wasser, sei es durch zerstörte oder beschädigte Trinkwasserversorgungsleitungen."
Warum und wie sind auch drei Helfer ums Leben gekommen?
Drei Freiwillige der Rotkreuz-Partnerorganisation, dem libyschen Roten Halbmond, sind bei Rettungsaktionen gestorben. Laut Christof Johnen haben sie versucht, andere Menschen zu retten und sind währenddessen in den Fluten ertrunken.
Was hat die Geographie mit den Problemen zu tun?
Das betroffene Gebiet ist ein langer Küstenstreifen. Gleich hinter dem Küstentiefland ragt ein knapp 300 Kilometer langes Gebirgsplateau auf. An diesem Hochplateau haben sich die extremen Regenwolken des Sturmtiefs "Daniel" abgeregnet. Die Entstehung von sogenannten "Medicanes", also Hurricanes im Mittelmeer, könnte Experten zufolge auch durch den Klimawandel beeinflusst sein. Es waren die stärksten Regenfälle in Libyen seit mehr als 40 Jahren. Die Flüsse konnten die Wassermassen nicht aufnehmen, so stürzte das Wasser die Hänge herab ins Tal. Die Städte am Küstenstreifen wurden so vom Wasser eingekesselt und die Dämme brachen.
Wie behindert die politische Lage Libyens die Helfer?
"Es handelt sich nicht einfach um eine Naturkatastrophe, sondern um ein Ereignis, das sehr eng mit der politischen Situation in Libyen verknüpft ist", sagte Wolfram Lacher, Libyen-Experte bei der Stiftung Wissenschaft und Politik im ZDF.
In Libyen kämpfen derzeit zwei verfeindete Regierungen – eine mit Sitz im Osten, die andere mit Sitz im Westen – um die Macht. Dadurch gibt es auch keine zentralen Behörden, die koordinieren können, wo welche Hilfe gebraucht wird. Ein großer Teil des betroffenen Gebiets wird von einer international nicht anerkannten Regierung geführt, sie ist unter militärischer Kontrolle von General Chalifa Haftar.
Der Zugang für die Rettungsorganisationen ist außerdem schwierig, weil es zusätzlich zu den beiden großen Gruppierungen noch eine Vielzahl bewaffneter Truppen gibt, mit denen immer wieder individuell der Zugang zu den Gebieten verhandelt werden muss. Das sei schon bei Hilfsaktionen in den vergangenen Jahren eine große Herausforderung gewesen, sagt Rotkreuz-Koordinator Johnen. Das alles seien kurzfristige Maßnahmen, die aber gegen die seit Jahrzehnten andauernden Konflikte kaum ankämen, wegen derer die Infrastruktur vernachlässigt wurde. “Humanitäre Hilfe kann nicht diese langfristigen strukturellen Probleme lösen. Humanitäre Hilfe kann keine fehlende Staatlichkeit ersetzen, und humanitäre Hilfe kann auch keine funktionierende Entwicklungszusammenarbeit ersetzen.”
Wie ist die politische Situation in Libyen?
Alle diplomatischen Bemühungen, den bis heute andauernden Bürgerkrieg friedlich beizulegen, scheiterten bisher. Die staatliche Ordnung in dem Land ist weitgehend zerfallen und viele Konfliktparteien ringen um Einfluss, nachdem Langzeitmachthaber Muammar al-Gaddafi 2011 gewaltsam gestürzt worden war.
Libyen-Experte Wolfram Lacher sagt: "Gaddafi hat damals die Stadt dafür bestraft, dass in ihr Aufständische die Waffen ergriffen hatten in den 90er Jahren und nach Gaddafis Sturz 2011 wurde dann jahrelang überhaupt nichts mehr in Infrastruktur investiert", sagte . Zwar sei in den letzten Jahren immer etwas Geld geflossen, "aber das ging unter anderem in die Taschen von Milizenführern und Kriegsprofiteuren".