Etwas Besonderes passiert heute Nacht in Austin" steht auf US-Präsident Barack Obamas Twitter-Account zu lesen. Nie zuvor hat ein Filibuster solch ein Echo im Netz hervorgerufen wie der Marathon-Auftritt der Demokraten-Senatorin Wendy Davis. Ob der Live-Stream auf Youtube (ein Ausschnitt), auf Twitter unter dem Hashtag StandWithWendy, in Live-Blogs oder in den sozialen Netzwerken, Hunderttausende haben Anteil genommen, als die 50-jährige Frau in pinkfarbenen Turnschuhen ein Abtreibungsgesetz der Republikaner "totredete". Hunderte Aktivisten zeigten ihre Unterstützung vor Ort. Die großen TV-Sender ignorierten das Ereignis der Nacht.
Filibuster heißt die Technik, mit der eine politische Minderheit im US-Senat durch Dauerreden das Durchdrücken eines Gesetzes verzögern kann. Im alten Rom hieß das "Ermüdungsrede", im Kino hat James Stewart den Filibuster 1939 in "Mr. Smith goes to Washington" verewigt, und den Rekord hält Senator Strom Thurmond, der 1957 24 Stunden und 18 Minuten filibusterte.
"Lasst sie sprechen!
Gemäß den Regeln durfte sich Wendy Davis während ihrer knapp elf Stunden dauernden Rede weder anlehnen, noch etwas trinken oder eine Toilettenpause einlegen. Bis Mitternacht musste sie durchhalten, um die Abstimmung zu verhindern. Als ein Kollege ihr nach ein paar Stunden half, eine Rückenstütze anzulegen, gab es eine Verwarnung.
Um 11.18 Uhr am Dienstagmorgen hatte die Mutter zweier Kinder und Harvard-Juristin angefangen, die "Bill 5", auch Sonogram-Bill genannt, auseinanderzunehmen. Sollte das Gesetz verabschiedet werden, würden Abtreibungsmedikamente stark beschränkt und etwa 37 der 42 Kliniken, die in Texas Abtreibungen durchführen, müssten wegen neuer Zuständigkeitsregeln schließen, wie Juristen zuvor erklärten. "Welchen Zweck hat dieses Gesetz?", fragte Davis in ihrer Rede. "Könnte es einfach der Wunsch sein, Frauen im Staat Texas den sicheren, gesunden, legalen, von der Verfassung geschützten Zugang zu Abtreibungen zu verwehren?" Sie warf ihren Gegnern "Machtmissbrauch" vor.
Chaos im Capitol
Neben ihren eigenen Argumenten zitierte Davis aus Briefen von Frauen und Ärzten, die von den neuen Richtlinien betroffen wären. Gegen Ende halfen demokratische Kollegen der Senatorin, indem sie Fragen stellten. Währenddessen hatten sich die Ränge des Capitols mit Aktivisten gefüllt, die Davis immer wieder anfeuerten.
Als die Republikaner den Filibuster mit einer dritten Verwarnung wegen Themaverfehlung abbrechen wollten, brach Chaos aus. "Lasst sie sprechen" und "Wendy, Wendy" skandierten die Zuschauer. Versuche, die Ordnung wiederherzustellen, scheiterten. Die Abgeordneten konnten das eigene Wort nicht mehr verstehen. Eine Viertelstunde vor Mitternacht machte das Durcheinander im Capitol einen weiteren Versuch der Republikaner unmöglich, für das Gesetz zu stimmen.
Ergebnis manipuliert?
Kurz nach Mitternacht war zunächst völlig unklar, ob das Gesetz durch ist oder nicht. Selbst Senatoren waren beim Verlassen des Capitols nicht sicher. Ein waschechter Skandal schien sich anzukündigen, als Hinweise auf die Manipulation der öffentlichen Parlamentsprotokolle auftauchten. Doch dann gaben die Republikaner sich - vorerst - geschlagen. "Dank der kraftvollen Stimmen Tausender Texaner ist SB5 (das Gesetz, Anm.d.R.) tot. Ein unglaublicher Sieg für die Frauen von Texas, und die, die sie lieben", hat Davis in den frühen Morgenstunden getwittert.
Für Davis, die angeblich eine begeisterte Marathonläuferin ist, war es der zweite Filibuster: Im vergangenen Jahr hatte sie so versucht, Millionen-Kürzungen im texanischen Schulsystem zu verhindern. Damals hatte sie ihren Sitz im Bildungsausschuss verloren.
Es sei es absolut wert gewesen, sagte Davis in einem kurzen Statement nach ihrem 11-Stunden-Rekord. Dann setzte sie sich hin, trank etwas und rief ihre Töchter an.