Neue Massenproteste Teheran kommt nicht zur Ruhe

Oppositionsführer Mir-Hussein Mussawi hat eine Demonstration seiner Gefolgsleute abgesagt, um eine Konfrontation mit Regierungsanhängern zu vermeiden. Dennoch gingen Zehntausende erneut auf die Straßen. Die Führung in Teheran reagiert zunehmend nervös. Sie untersagte ausländischen Medien die Berichterstattung und bestellte einen EU-Diplomaten ein.

Die iranische Regierung hat sich angesichts der Demonstrationen im Land offenbar jede Einmischung in die inneren Angelegenheiten verbeten. Das Außenministerium in Teheran bestellte einem Agenturbericht zufolge einen hochrangigen tschechischen Diplomaten als Vertreter der Europäischen Union (EU) ein. Zur Begründung hieß es, die Stellungnahmen einiger EU-Politiker hinsichtlich der Präsidentschaftswahl seien interventionistisch und beleidigend. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) hatten die Zustände im Iran in deutlichen Worten kritisiert.

Unterdessen hat der iranische Oppositionsführer Mir-Hussein Mussawi seine Anhänger aufgerufen, nicht an einer geplanten Großdemonstration teilzunehmen. "Die Demonstration der gemäßigten Kräfte findet nicht statt", sagte ein Sprecher Mussawis am Dienstag wenige Stunden bevor die erneute Kundgebung in Teheran stattfinden sollte. Mussawi appelliere an seine Anhänger, zu Hause zu bleiben, weil sie sich andernfalls in Lebensgefahr begäben, sagte der Sprecher.

Dennoch versammelten sich am Nachmittag Zehntausende Demonstranten im Norden Teherans, um für eine Wiederholung der Wahl zu demonstrieren. Sie wollten zum Sitz des Staatsfernsehens IRIB ziehen, der als Hauptunterstützer des amtierenden Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad gilt. Unterdessen zogen auch Zehntausende Präsidenten-Unterstützer durch die Straßen. Sie riefen Slogans wie: "Wir sind unserem Führer treu ergeben." Nach Augenzeugenberichten blieb die Lage zunächst ruhig.

Beobachter hatten schwere Zusammenstöße in der Hauptstadt befürchtet, nachdem regierungsnahe Gruppen eine Gegendemonstration angekündigt hatten. Sie wollten sich eine Stunde vor der Opposition auf demselben Platz versammeln, auf dem am Vortag Hunderttausende Anhänger von Mussawi gegen das amtliche Endergebnis der Präsidentenwahl demonstriert hatten.

Teheran zensiert Berichterstattung

Die Führung in Teheran wird offenbar immer nervöser und verhängte für ausländische Medien ein Berichterstattungsverbot. In einem Rundschreiben an alle Büros ausländischer Medien forderte die zuständige Abteilung des Kulturministeriums dazu auf, alle Beiträge, die nicht direkt vom Ministerium autorisiert sind, "ernsthaft" zu vermeiden. Das Rundschreiben bezog sich speziell auf die Berichterstattung von Massenkundgebungen, die nicht ausdrücklich von den Behörden zugelassen sind. Lediglich von ihren Büros aus dürften Journalisten weiter berichten, erklärte das Kulturministerium. Interviews dürften nur noch telefonisch geführt werden. Zugleich kündigte ein Vertreter an, ausländischen Medienvertretern werde die Akkreditierung entzogen. Westliche Berichterstatter, darunter auch deutsche Journalisten, haben wiederholt über die schlechten Arbeitsbedingungen in Teheran geklagt.

Die Organisation "Reporter ohne Grenzen" verurteilte das massive Vorgehen der iranischen Behörden gegen die Medien. Um die Berichterstattung über Betrugsvorwürfe zu unterdrücken, seien Journalistinnen und Journalisten festgenommen, Zeitungen geschlossen, Webseiten gesperrt, Beamte entlassen, Artikel zensiert und das Mobilfunknetz teilweise gesperrt worden, kritisierte die Organisation.

Bei den bislang schwersten Protesten im Iran seit der Revolution vor 30 Jahren wurden nach Angaben des Staatsfernsehens am Montag sieben Menschen getötet. Sie kamen demnach gegen Ende der Massenkundgebung ums Leben, die bis dahin weitgehend friedlich verlaufen war. Nach Informationen des Teheraner ARD-Studios unter Berufung auf Oppositionskreise sind inzwischen 15 Menschen zu Tode gekommen. Mehr als 200 Demonstranten sind diesen Angaben zufolge festgenommen worden. Darunter ist nach Informationen aus seinem Büro auch der ehemalige Stellvertreter des früheren Präsidenten Mohammed Chatami, Mohammed Ali Abtahi. Er ist Mitglied der Anti-Ahmadinedschad-Bewegung.

Vertreter der iranischen Opposition in Deutschland sprechen von noch mehr Opfern. Der iranische Exilpolitiker Mehran Barati-Novbari sagte im rbb-inforadio, man könne die Namen von 22 Toten sowie von 136 Verletzten nennen. Allein beim Überfall auf ein Studentendorf in Teheran seien fünf Studenten umgebracht und ihre Leichen ohne Wissen der Angehörigen sofort vergraben worden. 70 Studenten seien verschleppt worden, ihr Schicksal sei ungewiss.

Menschenrechtsorganisationen kritisierten, die Sicherheitskräfte seien in Teheran und anderen Städten mit exzessiver Gewalt vorgegangen, auch mit scharfer Munition. Bundesaußenminister Steinmeier forderte ein Ende der Polizeigewalt gegen die Demonstranten. "Auch die Sicherheitskräfte sind verantwortlich dafür, dass die Lage nicht weiter eskaliert", sagte der Minister am Dienstag in Berlin. Die Lage auf den Straßen sei weiter heikel, und der Westen blicke mit Sorge auf das Land. Zugleich erneuerte Steinmeier seine Forderung, die iranische Führung müsse umgehend für Aufklärung über Unregelmäßigkeiten bei der Präsidentenwahl sorgen.

Im Iran erklärte sich der Wächterrat als oberstes Kontrollorgan in Rechtsfragen zwar zu einer Überprüfung der Ergebnisse aus einzelnen umstrittenen Wahlkreisen bereit, wie das Staatsfernsehen berichtete. Die Neuauszählung könne dabei auch veränderte Stimmenanteile ergeben. Eine Annullierung der Wahl schloss ein Sprecher des Rats jedoch aus. Oppositionskandidat Mussawi hatte dagegen eine Wiederholung der Abstimmung gefordert. Er sei bereit, im Kampf gegen Unregelmäßigkeiten bei der Wahl "jeden Preis zu zahlen", teilte er auf seiner Internet-Seite mit.

Bei der Präsidentenwahl war der Hardliner Ahmadinedschad laut offiziellem Ergebnis überraschend deutlich im ersten Anlauf im Amt bestätigt worden. Dies war auf erhebliche Skepsis im In- und Ausland gestoßen. So sagte am Dienstag der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Gernot Erler: "Es hat eine eigentlich viel zu frühe Verkündung eines Endergebnisses gegeben, wo noch gar nicht ausgezählt sein konnte." In der Addition der Stimmenanteile habe es einmal 108 Prozent, einmal 94 Prozent gegeben, sagte Erler im Deutschlandfunk.

Auffällig sei auch, dass anscheinend überall im Land für Ahmadinedschad dasselbe Ergebnis herausgekommen sei - nämlich immer etwa 62 zu 32 zugunsten des Amtsinhabers, erklärte Erler. "Und wir haben viele Berichte, dass gerade in den Hochburgen der Opposition es entweder schon gefüllte Wahlurnen am Anfang der Auszählung gab oder aber fehlende Stimmzettel."

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Reuters/DPA/AP