Nach den US-Wahlen im November kommen am Sonntag der Senat und das neu gewählte Repräsentantenhaus zu ihren konstituierenden Sitzungen zusammen. Die beiden Kongresskammern tagen erstmals in neuer Konstellation, in getrennten Sitzungen (ab 18 Uhr MEZ). Im Repräsentantenhaus steht dabei auch die Wahl für den einflussreichen Spitzenposten in der Kammer an: Die bisherige demokratische Vorsitzende, Nancy Pelosi, stellt sich zur Wiederwahl. Die inzwischen 80-Jährige hat signalisiert, dass dies ihre letzte Amtszeit an der Spitze des Repräsentantenhauses werden dürfte.
Im Senat bahnt sich allerdings ein Eklat an: Eine Gruppe republikanischer Senatoren hat Widerstand gegen die Bestätigung des Ergebnisses der Präsidentschaftswahl durch den US-Kongress am 6. Januar angekündigt. Sie wollen die Einsetzung einer Untersuchungskommission fordern, die eine zehntägige Prüfung des Wahlergebnisses vornehmen soll, wie sie am Samstag mitteilten. Die Erklärung wurde von sieben amtierenden Senatoren, unter ihnen der Texaner Ted Cruz, und vier gewählten Senatsmitgliedern unterzeichnet. Sie sprachen von angeblichem Wahlbetrug und Unregelmäßigkeiten.
Vize-Präsident Mike Pence begrüßte die Initiative. Er teile "die Besorgnis von Millionen Amerikanern über Wahlbetrug und Unregelmäßigkeiten bei der letzten Wahl", teilte Pence' Stabschef Marc Short mit. Pence kommt bei der die Ergebnisse bestätigenden Versammlung beider Kongress-Kammern am kommenden Mittwoch die eher formale Rolle zu, Joe Biden als neuen Präsidenten auszurufen. Eine Klage, die ihn dazu zwingen sollte, über diese Aufgabe hinauszugehen und Ergebnisse für nichtig zu erklären, scheiterte vor Gericht - auch auf Betreiben von Pence' Anwälten. Auch in Shorts Mitteilung wird betont, dass die Kongressabgeordneten ihre Bedenken "aufgrund ihrer gesetzlich vorgegebenen Autorität vorbringen sollten" - nicht mehr, aber eben auch nicht weniger.
Senatoren dürften mit Vorhaben keinen Erfolg haben
Zuvor hatte bereits der republikanische Senator Josh Hawley aus Missouri angekündigt, Einspruch gegen Wahlergebnisse in einigen umkämpften Staaten zu erheben. Auch rund hundert Abgeordnete des Repräsentantenhauses wollen Biden die Anerkennung verweigern. Die Initiativen könnten die endgültige Bestätigung von Bidens Sieg zeitlich verzögern. Aussicht auf Erfolg haben sie allerdings nicht.
Die Wahlleute aus den Bundesstaaten haben Bidens klaren Sieg über Trump längst bestätigt. Im formalen Nach-Wahl-Prozedere der USA steht noch die Zertifizierung der Wahlergebnisse aus den einzelnen Bundesstaaten im Kongress an. Dazu kommen am Mittwoch das neue Repräsentantenhaus und der Senat zu einer gemeinsamen Sitzung zusammen, um die Stimmen aus den Bundesstaaten zu verlesen, zu zählen und das Endergebnis offiziell zu verkünden. Dann ist amtlich, wer die Wahl gewonnen hat. Historisch gesehen gilt die Bestätigung des Wahlsiegers als Formalität. Der Widerstand der Republikaner dagegen wird von Politbeobachtern als schlechter Stil bewertet und ist auch in der eigenen Partei umstritten.
Der republikanische Mehrheitsführer im Senat, Mitch McConnell, hatte Biden zu seinem Wahlsieg gratuliert, nachdem die US-Wahlleute Mitte Dezember seinen Erfolg über Amtsinhaber Donald Trump bestätigt hatten. McConnell forderte seine Parteikollegen auf, Bidens Sieg bei der Sitzung am Mittwoch zu bestätigen.
Können Demokraten den Senat erobern?
Biden soll am 20. Januar als neuer Präsident vereidigt werden. Der scheidende Amtsinhaber Trump weigert sich jedoch, seine Niederlage anzuerkennen. In den vergangenen Monaten stellte er zahlreiche Behauptungen über mutmaßlichen Wahlbetrug auf, ohne Beweise dafür vorzulegen.
Im Repräsentantenhaus hatten die Demokraten ihre Mehrheit bei der Wahl verteidigt, wenn auch nur knapp. Im Senat entscheidet sich erst bei Stichwahlen um zwei Senatssitze im US-Bundesstaat Georgia am Dienstag, wer künftig das Sagen in der Kammer hat. Offen ist, ob die Republikaner ihre Mehrheit im Senat halten und dem künftigen demokratischen Präsidenten Joe Biden so bei Vorhaben Steine in den Weg legen können oder ob die Demokraten auch die zweite Kongresskammer erobern.
Nachdem die Demokraten bei der Wahl im November unerwartet viele Sitze im Repräsentantenhaus an die Republikaner abgeben mussten, ist die Mehrheit der Partei in der Kammer denkbar knapp geworden. Sie schrumpfte auf aktuell 222 von 435 Sitzen – mindestens 218 Stimmen sind bei Abstimmungen für eine einfache Mehrheit nötig. Das macht auch die Vorsitzendenwahl für Pelosi zu einer Herausforderung: Sie kann sich nicht viele Abweichler erlauben. Außerdem ist sie darauf angewiesen, dass möglichst keine Abgeordneten aus den eigenen Reihen bei dem Votum fehlen, etwa krankheitsbedingt. Wegen veränderter Abstimmungsregeln angesichts der Corona-Pandemie dürfte sich das Votum zum Spitzenposten der Kammer länger als üblich hinziehen.
Die vergangene Legislaturperiode des Kongresses war besonders turbulent. Sie begann vor zwei Jahren inmitten des längsten "Shutdowns" der Regierungsgeschäfte in der US-Geschichte. Später folgte ein aufsehenerregendes Amtsenthebungsverfahren gegen den Präsidenten wegen Machtmissbrauches, an dessen Ende Trump vom Senat freigesprochen wurde. Im Frühjahr verabschiedete der Kongress angesichts der Corona-Pandemie dann das größte Konjunkturpaket in der Geschichte des Landes. Und kurz vor Schluss überstimmten beide Kongresskammern erstmals ein Veto Trumps – eine herbe Niederlage für den Präsidenten kurz vor dem Ende seiner Amtszeit.