Nordkorea Bettelarm und bis an die Zähne bewaffnet

Ohne ausländische Hilfe könnte das Regime in Pjöngjang nicht einmal die Bevölkerung ernähren. Dennoch gedeiht das Militär: Von den 22,3 Millionen Einwohnern sind 1,2 Millionen Soldaten - das bettelarme Nordkorea unterhält damit die fünftgrößte Armee der Welt.

Seit über einem halben Jahr schwelt der Streit über das nordkoreanische Atomprogramm. Falls Nordkorea tatsächlich Atomwaffen besitzt, wie sein Chefunterhändler Ri Gun vergangene Woche gegenüber den USA eingestanden haben soll, wäre dies der Gipfel der militärischen Hochrüstung eines bettelarmen Landes. Von den 22,3 Millionen Einwohnern Nordkoreas sind 1,2 Millionen Soldaten - es ist die fünftgrößte Armee der Welt.

Regierungschef Kim Jong Il stelle die Aufrüstung über alle anderen Aufgaben, erklärte der Kommandeur der US-Truppen in Südkorea, General Leon LaPorte, im März in einem Bericht an den Senat. Fast ein Drittel des Staatshaushalts werden nach Angaben LaPortes für das Militär aufgewandt - für das riesige Heer, die Unterhaltung von 1.700 Flugzeugen und rund 800 Schiffen sowie für die Entwicklung neuer Waffensysteme.

Seoul in Sichtweite

Der größte Teil des Heeres sei im Süden von Pjöngjang stationiert, von wo aus ohne große Vorbereitungen ein Angriff auf Südkorea geführt werden könne, warnte LaPorte. "Der Großteil der nordkoreanischen Langstrecken-Geschütze kann von seiner gegenwärtigen Position aus direkt auf Seoul abgefeuert werden."

Viele Experten weisen allerdings darauf hin, dass die militärische Ausrüstung Nordkoreas veraltet sei. Für viele Fahrzeuge gebe es nicht einmal die notwendigen Ersatzteile. Die Maschinen chinesischen und russischen Fabrikats seien zum Teil Jahrzehnte alt, und die Piloten dürften nur wenige Stunden trainieren, weil sie Treibstoff sparen müssten.

"Ein ausgezehrtes Land am Rande des Zusammenbruchs"

Unumstritten ist, dass Nordkorea vollkommen verarmt ist. Ohne ausländische Hilfe könnte die Regierung nicht einmal die Bevölkerung ernähren. Nach einem Besuch in Nordkorea berichtete der deutsche Reporter Harald Maas im März: "Was wir gesehen haben, war ein ausgezehrtes Land am Rande des Zusammenbruchs."

Das Militär gedeihe dennoch, sagte US-General LaPorte. Besondere Sorgen bereiteten ihm die Entwicklung chemischer und biologischer Waffen sowie das nordkoreanische Raketenprogramm. "Nordkorea besitzt einen erheblichen Vorrat an und Produktionskapazitäten für Chemiewaffen, die sowohl unsere Streitkräfte als auch die Ballungszentren in Südkorea und Japan bedrohen." Zudem verfüge Pjöngjang über Möglichkeiten, "biologische Kampfstoffe zu entwickeln, zu produzieren und waffentauglich zu machen".

Nach LaPortes Einschätzung besitzt Nordkorea Mittelstreckenraketen, die nicht nur Japan, sondern sogar den äußersten Westen der USA erreichen können. Letzteres ist unter Militärexperten allerdings umstritten. Zwar könnte die zweistufige Rakete "Taepodong-2" nach Meinung einiger Experten bis Alaska oder Haiti fliegen, ihre Entwicklung ist möglicherweise aber noch nicht einmal bis zur Testreife gelangt. LaPorte blickte dennoch schon voraus auf die nächste Stufe: "Die Entwicklung einer Drei-Stufen-Variante dieser Raketen wird Nordkorea ermöglichen, ganz Nordamerika ins Ziel zu fassen".

Nordkorea fühlt sich bedroht

Für diese Aufrüstungsbemühungen gebe es eine einfache Erklärung, meint der Korea-Experte Daniel Pinkston vom Institut für Internationale Politik im kalifornischen Monterey: Die Nordkoreaner fühlten sich von den USA bedroht. Eine Ursache dieser Wahrnehmung sei die neue Sicherheitsdoktrin, die die US-Regierung im vergangenen Jahr formulierte. Darin wird Nordkorea als einer der "Schurkenstaaten" bezeichnet, die gestoppt werden müssten, "ehe sie Massenvernichtungswaffen gegen die Vereinigten Staaten, unsere Verbündeten und Freunde einsetzen können."

Eine Einstellung des nordkoreanischen Atomwaffenprogramms machte Pjöngjangs Chefunterhändler Ri Gun von Sicherheitsgarantien der USA abhängig - und von der Zusage wirtschaftlicher Unterstützung. Falls es zu einer Einigung kommt, stellt sich allerdings die Frage, wie Nordkoreas Bekenntnis zur nuklearen Abrüstung überprüft werden soll. Schon in Irak erwies sich die Suche nach Massenvernichtungswaffen als schwierig, im von Fragen nationaler Sicherheit besessenen Nordkorea wäre sie wohl noch komplizierter.

Einige Mitglieder der US-Regierung scheinen auf eine mögliche Einigung mit Pjöngjang ohnehin nicht viel zu geben. Schließlich habe Nordkorea bereits mit der Wiederaufnahme seines Atomprogramms gegen internationale Vereinbarungen verstoßen.

George Gedda