Gipfeltreffen in Moskau Scholz: "Unsere verdammte Pflicht, eine kriegerische Eskalation zu verhindern"

Gipfeltreffen in Moskau: Scholz: "Wir müssen dafür sorgen, dass Krieg in Europa undenkbar bleibt"
Sehen Sie in diesem Beitrag (ohne Sprechertext) Olaf Scholz bei der Pressekonferenz im Kreml




"Die militärischen Truppenzusammenstellungen und Aktivitäten Russlands an der ukrainischen Grenze haben einen breiten Raum in unseren Gesprächen eingenommen, wie auch natürlich die Fragen nach den Sicherheitsgarantien, die Russland formuliert hat. Ich habe dabei unsere Einschätzung, meine Einschätzung der Sicherheitslage erläutert und wie wir, unsere europäischen Partner, diese Entwicklung bewerten. Aber auch natürlich den Truppenaufmarsch als Bedrohung empfinden.
In diesem Zusammenhang kann man gar nicht genug betonen, dass wir sehr besorgt sind, was wohl aus dem 100.000 Soldaten und ihren Aktivitäten in nächster Zeit werden wird. Wir können keinen vernünftigen Grund für diese Truppenzusammenstellung erkennen. Deshalb ist die Deeskalation dringend geboten. Und das ist in dieser angespannten und schwierigen Situation wichtig, damit es keinen Krieg in Europa gibt. Jetzt muss es darum gehen, entschlossen und mutig an einer friedlichen Auflösung dieser Krise zu arbeiten.
Dass wir jetzt hören, dass einzelne Truppen abgezogen werden, ist jedenfalls ein gutes Zeichen. Wir hoffen, dass da noch welche folgen. Für die Bundesregierung ist klar, dass eine weitere militärische Aggression gegen die Ukraine schwerwiegende politische, wirtschaftliche und strategische Konsequenzen zur Folge hätte. Mein Eindruck ist, dass wissen alle ganz genau. Eine solche Eskalation gilt es deshalb jetzt mit aller Kraft und Entschlossenheit und aller Klugheit zu vermeiden. Für uns Deutsche, aber auch für alle Europäer ist klar, dass nachhaltige Sicherheit nicht gegen Russland, sondern nur mit Russland erreicht werden kann. Darüber sind wir uns aber auch alle einig in der Nato und in der Europäischen Union. Und deshalb müsste es möglich sein, eine Lösung zu finden, so schwierig und ernst die derzeitige Lage auch scheint. Ich weigere mich, sie als aussichtslos zu beschreiben. Von allen ist jetzt mutiges und verantwortungsbewusstes Handeln gefragt. Das will ich doch sagen: Für meine Generation ist Krieg in Europa undenkbar geworden und wir müssen dafür sorgen, dass das so bleibt. Es ist unsere verdammte Pflicht und Aufgabe als Staats- und Regierungschefs zu verhindern, dass es in Europa zu einer kriegerischen Eskalation kommt."
Bundeskanzler Olaf Scholz hat bei seinen Antrittsbesuch in Moskau mit Waldimir Putin über den Ukraine-Konflikt gesprochen. In der Sache gab es offenbar keinen Durchbruch, aber beide Seiten sind sich einig, dass die Gespräche weitergehen müssen.

Bundeskanzler Olaf Scholz ist im Ringen um einen Abbau der Spannungen in der Ukraine-Krise mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin zusammengetroffen. Zu Beginn seines ersten ausführlichen Gesprächs mit dem Kremlchef wies Scholz auf die "schwierige Situation" für Frieden und Sicherheit in Europa hin. Kurz zuvor hatte Moskau erklärt, mit dem Abzug erster Truppen im Süden und Westen des Landes beginnen zu wollen.

Olaf Scholz beschwört den Dialog

In einem direkten Gespräch hat Scholz zu einem umfangreichen Dialog über den Ukraine-Konflikt aufgerufen. "Lassen Sie uns diese Dinge im Wege des Dialogs weiter bereden. Wir dürfen nicht in einer Sackgasse enden, die wäre ein Unglück", sagte Scholz. "Die diplomatischen Möglichkeiten sind bei weitem nicht ausgeschöpft. Und weiter: Er sehe keinen vernünftigen Grund für den russischen Truppenaufmarsch an der Grenze zur Ukraine. Deswegen sei nun Deeskalation gefragt. Scholz begrüßte Berichte über einen ersten Truppenabzug. "Unsere beiden Länder sind historisch und kulturell eng miteinander verflochten", sagte Scholz weiter. Es gebe vielfältige Beziehungen und auch großes Potenzial für die Wirtschaftsbeziehungen.

"Dass wir jetzt hören, dass einzelne Truppen abgezogen werden, ist jedenfalls ein gutes Zeichen", so Scholz. Er hoffe, dass ein weiterer Truppenabzug folge. "Wir sind bereit, gemeinsam mit allen Partnern und Verbündeten in der EU und der Nato und mit Russland über ganz konkrete Schritte zur Verbesserung der gegenseitigen oder noch besser der gemeinsamen Sicherheit zu reden." Ungewohnt deutlich wurde der Bundeskanzler am Ende seines Statements: "Unsere verdammte Pflicht, eine kriegerische Eskalation zu verhindern", so Scholz.

Der russische Präsident Wladimir Putin hat bestritten, dass Russland in der Ukraine-Krise einen Krieg anstrebt. "Wollen wir das oder nicht? Nein, natürlich nicht", sagte er. "Genau deshalb haben wir Vorschläge für einen Verhandlungsprozess unterbreitet." Er bekundete seine Bereitschaft, mit dem Westen weiter in Fragen der europäischen Sicherheit zusammenzuarbeiten. 

"Wir sind bereit, den Weg der Verhandlungen zu gehen"

"Wir sind bereit zu dieser gemeinsamen Arbeit auch in der Zukunft", sagte der Kreml-Chef. "Wir sind auch bereit, den Weg der Verhandlungen zu gehen." Die beiden Politiker berieten in Moskau mehrere Stunden über den Ukraine-Konflikt. Der Westen fürchtet angesichts des massiven russischen Truppenaufmarschs an der Grenze einen russischen Angriff auf die Ukraine. Moskau bestreitet Angriffsabsichten und verlangt von der Nato Sicherheitsgarantien.

Putin hat zudem für eine Inbetriebnahme der Ostseepipeline Nord Stream 2 geworben. Das Infrastrukturprojekt festige die Energiesicherheit in Europa, sagte er im Kreml. Es handele sich um ein rein wirtschaftliches und umweltfreundliches Projekt ohne "politische Färbung", so Putin. Die Leitung durch die Ostsee von Russland nach Deutschland sei seit Dezember betriebsbereit.

Scholz hat auch das Vorgehen Moskaus gegen die Deutsche Welle bemängelt. "Ich habe in unseren Gesprächen auch die Erwartung geäußert, dass die Deutsche Welle in Russland weiter journalistisch tätig sein kann", sagte er. Scholz wurde auf seiner Reise von einer Journalistin der Deutschen Welle begleitet, der Moskau kürzlich ein Sendeverbot erteilt hatte.

Zu dem Sendeverbot der Deutschen Welle hat sich Präsident Putin gesprächsbereit gezeigt. Mit Scholz sei vereinbart worden, "dass wir uns Gedanken machen, wie das Problem gelöst werden kann".  Das Sendeverbot für die Deutsche Welle wurde verhängt, nachdem die Kommission für Zulassung und Aufsicht (ZAK) die Verbreitung des russischen Fernsehkanals RT DE in Deutschland verboten hatte, weil dieser nie eine Zulassung beantragt hatte. 

Kritik am Verfahren gegen Nawlany

Kritisch äußerte sich der Bundeskanzler auch über das Verfahren gegen den Kreml-Kritiker Alexej Nawalny und das Verbot der Menschenrechtsorganisation Memorial. Bei Nawalny sei seine Haltung "sehr klar", sagte Scholz: "Mit rechtsstaatlichen Grundsätzen ist seine Verurteilung nicht vereinbar." Auch sehe Deutschland "mit Sorge", dass in Russland "die Räume für die Zivilgesellschaft schwieriger werden". Das gelte insbesondere im Hinblick auf solche Partner, "mit denen wir lange und wichtig zusammengearbeitet haben".

DPA
nik