Russische Präsidentschaftswahl Beobachter registrieren tausende Betrugsvorwürfe

Mehrfacher Urnengang, bereits ausgefüllte Stimmzettel und Festnahmen von Demonstranten: Noch während Russland wählt, klagen Beobachter über unzählige Unregelmäßigkeiten.

Begleitet von dem beispiellosen Einsatz zehntausender Bürgerbeobachter haben die Russen am Sonntag über eine mögliche Rückkehr Wladimir Putins ins Präsidentenamt abgestimmt. Überschattet werden die Wahlen bereits während des Urnengangs von zahlreichen Betrugsvorwürfen. Die Internetseite control2012.ru, die die Bemühungen der Bürgerbeobachter koordiniert, führte bis zum Nachmittag mehr als 3300 Verstöße gegen Wahlgesetze auf. Über 2000 Beschwerden gingen auch bei der unabhängigen Beobachtungsorganisation Golos ein. Es gebe genau so viele Verletzungen wie bei der von Fälschungsvorwürfen überschatteten Parlamentswahl im vergangenen Dezember, teilte Golos mit.

Jelena Bokanowa sitzt am Sonntag im Wahllokal Nr. 164 in Moskau vor zwei transparenten Urnen und zählt geduldig die abgegebenen Stimmen bei der russischen Präsidentenwahl. "Es wird eine enorme Menge an Wahlfälschungen geben, aber meine Anwesenheit hier wird vielleicht einige verhindern können", zeigt sich die freiwillige Wahlbeobachterin selbstbewusst. Bokanowa gehört keiner Partei an, als Wahlbeobachterin arbeitet sie zum ersten Mal. Allzu große Hoffnungen macht sie sich allerdings nicht. "Das Land ist riesig. In Tschetschenien haben bei der Parlamentswahl im Dezember 99 Prozent für die Partei von Wladimir Putin gestimmt. Das ist derart lächerlich, dass es schon wieder traurig ist."

Nach Angaben der Nichtregierungsorganisation Golos kamen am Sonntag durchschnittlich 4,3 Beobachter auf jedes der 90.000 Wahllokale in dem größten Land der Welt. Dazu zählen auch Beobachter der an dem Urnengang beteiligten Parteien.

Auch die Oppositionsparteien, die eigene Beobachter stellten, vermuteten Wahlbetrug. Die Mitte-Links-Partei Jabloko berichtete, dass mehrere Wähler in Moskau in zwei Wahllokalen ihre Stimme abgegeben hätten. In Wladiwostok hätten Stimmberechtigte bei ihrer Ankunft im Wahllokal dagegen feststellen müssen, dass ihre Wahlzettel bereits ausgefüllt abgegeben worden seien. Über Betrugsfälle klagte ebenso die Kommunistische Partei. So seien in Jekaterinburg die Insassen eines Kleinbusses festgenommen worden, die von Wahllokal zu Wahllokal gefahren seien, um mehrfach ihre Stimme abzugeben. In Moskau sollen gar hunderte Busse mit Mehrfachwählern unterwegs gewesen sein.

Die vom russischen Gesetz vorgesehene Möglichkeit, in einem anderen als dem zugewiesenen Wahllokal zu wählen, öffnet nach Angaben der Opposition dem Betrug Tür und Tor. "In diesem Wahllokal hatten 200 von 2000 Wählern eine Genehmigung, ihre Stimme woanders abzugeben", berichtet Bauman. "Man hat keine Möglichkeit zu kontrollieren, wer diese Leute sind."

Von solchen "Wahlrundreisen" berichtet auch die regierungskritische Zeitung "Nowaja Gaseta" auf ihrer Internetseite: Zahlreiche Studenten oder Fabrikarbeiter würden reihum mit Bussen in Wahllokale gefahren, um mehrmals Stimmen abzugeben.

Wahlbeobachter Oleg Mokriajew ist wild entschlossen, solchen Mehrfachwählern das handwerk zu legen. Im Moskauer Wahllokal Nr. 197 richtet er seine Kamera auf die Wahlhelfer, die er im Verdacht hat, Menschen mehrfach abstimmen zu lassen. "Ich habe gehört, wie sie sagten 'Wir machen es wie beim letzten Mal'." Mokriajew ist wild entschlossen, dies zu verhindern. "Wenn ich solche Wähler ausfindig mache, werde ich sie filmen und sie im Auto verfolgen um sicherzustellen, dass sie nicht noch woanders wählen."

Behörden widersprechen Betrugsvorwürfen

Währenddessen teilte das Innenministerium mit, bei einem "heißen Draht" seien 60 Beschwerden eingegangen. Es gebe aber keine ernstzunehmenden Verstöße. Die Behörden hatten angesichts von Betrugsvorwürfen nach der Parlamentswahl die Wahllokale mit jeweils zwei Überwachungskameras ausgestattet, um mehr Transparenz zu demonstrieren. Allerdings wurde der Wahlverlauf teilweise nur verzögert übertragen. Wahlbeobachter monierten, dass die Kameras zu weit weg von den Urnen positioniert wurden und die Aufnahmen vor Gericht ohnehin nicht verwertbar seien.

Staatschef Putin gab in Moskau als letzter der fünf Kandidaten seine Stimme ab. Dabei demonstrierte der Staatschef, der als klarer Favorit gilt, Gelassenheit: "Ich habe ausgeschlafen, etwas Sport getrieben und bin dann hierher gekommen", sagte der 59-Jährige. Erstmals seit Monaten trat er bei der Stimmabgabe wieder gemeinsam mit seiner Frau Ljudmila Putina auf. Kurz nach Putins Urnengang trafen drei Aktivistinnen der Bewegung Femen in dem Wahllokal ein. Sie riefen "Putin ist ein Dieb!" und versuchten, die Wahlurne mit dem Stimmzettel des amtierenden Regierungschefs zu stehlen. Die Polizei nahm sie sofort fest.

Die Zentrale Wahlkommission in Moskau sprach von einer insgesamt sehr regen Stimmabgabe. Gegen 10.00 Uhr mitteleuropäischer Zeit lag die Wahlbeteiligung bereits bei mehr als 30 Prozent, hieß es. Zu der Abstimmung in den insgesamt neun Zeitzonen des flächenmäßig größten Landes der Erde waren 110 Millionen Wahlberechtigte aufgerufen. Erste Ergebnisse werden für den späten Sonntagabend erwartet.

DPA
cjf/AFP/DPA