Nach monatelanger Fahndung haben US-Truppen den irakischen Ex-Präsidenten Saddam Hussein ohne Widerstand in der Nähe seiner Heimatstadt Tikrit gefasst.
Als die US-Soldaten den bärtigen und zerzausten Mann aus dem Erdloch zogen, waren sie sich zunächst nicht sicher, ob es sich wirklich um Saddam Hussein handelt. Doch wenige Stunden später war die Identität des früheren irakischen Machthabers mit wissenschaftlichen Methoden einwandfrei nachgewiesen. Damit fand eine der aufwendigsten Fahndungen der Geschichte ihr Ende.
Verräterische Körpermerkmale
"Seine Erscheinung war so, dass man nicht sofort sagen konnte, es ist Saddam Hussein", sagte ein ranghoher US-Vertreter.
Aber einige Merkmale am Körper des Gefangenen sowie nicht näher bezeichnete weitere Informationen gaben den US-Soldaten dann die erste Bestätigung, dass sie ihr Ziel erreicht hatten, wie amerikanische Offizielle erklärten.
Der einst gefürchtete Machthaber sei von den Soldaten bereits am Samstagabend in einer kleinen zwei bis drei Meter tiefen Grube auf einem Bauernhof entdeckt und festgenommen worden, sagte der Leiter der US-Zivilverwaltung, Paul Bremer, am Sonntag in Bagdad. Dort und in Kirkuk feierten zahlreiche Iraker die Nachricht. Die Festnahme ist ein Erfolg für US-Präsident George W. Bush, der 2004 zur Wiederwahl antritt und wegen des Irak-Einsatzes in der Kritik steht. Während in aller Welt die Hoffnung auf eine raschere Stabilisierung des Irak wuchs, warnte Bush, die Festnahme bedeute kein Ende der beinahe täglichen Anschläge in dem Golfstaat. US-Verteidigungsexperten sprachen von einem Wendepunkt für die Irak-Politik der USA und empfahlen der Regierung ein rasches Ende der Besatzung, um stärkere internationale Unterstützung für den Wiederaufbau zu gewinnen.
In einer Grube voller Ratten
"Meine Damen und Herren, wir haben ihn. Der Tyrann ist ein Gefangener", sagte Bremer unter dem Jubel der anwesenden irakischen Journalisten. Saddam sei nach seiner rund achtmonatigen Flucht am Samstag gegen 20.30 Uhr Ortszeit in einer mannshohen Höhle voller Ratten in dem Dorf Ad Daur rund 15 Kilometer von Tikrit gefangen genommen worden. In der Nähe seien zudem 750.000 Dollar in 100-Dollar-Scheinen gefunden worden. Der gegenwärtige Aufenthaltsort Saddams blieb unklar. Ein US-Vertreter sagte, der entscheidende Hinweis sei von einem irakischen Gefangenen gekommen. Die USA hatten für die Ergreifung Saddams 25 Millionen Dollar ausgesetzt.
Auf der Pressekonferenz Bremers wurden Videoaufnahmen eines erschöpft, desorientiert und niedergeschlagen wirkenden Saddams mit einem dichten grauen Bart gezeigt. Das Video zeigte, wie Saddam im Gewahrsam der US-Truppen medizinisch untersucht wurde. Soldaten hätten dem 66-jährigen Speichelproben für einen Gentest entnommen und ihm den Bart abgenommen, berichteten Mitglieder des von den USA eingesetzten Regierenden Rates im Irak. Der DNA-Test habe die Identität Saddams bestätigt.
Bush sagte in einer dreiminütigen Fernsehansprache aus dem Weißen Haus in Washington an das irakische Volk gerichtet: "Sie müssen die Herrschaft Saddam Husseins nicht mehr fürchten." Mit der Festnahme sei das Spiel für Saddam endgültig aus. "In der irakischen Geschichte ist eine dunkle und schmerzvolle Ära vorbei." Eine Phase voller Hoffnungen habe begonnen. Die Iraker könnten nun zusammen einen neuen Irak aufbauen. Zugleich warnte er jedoch: "Wir stehen immer noch Terroristen gegenüber, die lieber weiter Unschuldige töten als den Aufstieg der Freiheit im Herzen des Nahen Ostens zu akzeptieren."
Todesstrafe gefordert
Der Chef des Irakischen Nationalkongresses, Ahmad Chalabi, kündigte an, Saddam werde schon bald im Irak vor Gericht gestellt. Einige irakische Politiker forderten die Todesstrafe. Erst in der vergangenen Woche war im Irak ein Tribunal eingerichtet worden, das Saddam wegen Kriegsverbrechen auch in Abwesenheit verurteilen sollte. Ein US-Vertreter hatte angekündigt, die künftige irakische Regierung könne auch die Todesstrafe wieder einführen. Saddam wird für zahlreiche Verbrechen mit tausenden Toten während seiner 24-jährigen Zeit als Staatschef verantwortlich gemacht.
In Bagdad feuerten Iraker nach Bekanntwerden der Festnahme Freudenschüsse in die Luft. Viele fuhren in Autokorsos durch die Straßen und spreizten die Finger zum Siegeszeichen. Einige schrien: "Tod für Saddam!" Saddam war im Irak-Krieg im April von britischen und amerikanischen Truppen gestürzt worden.
Angesichts der beinahe täglichen Angriffe auf die US-Truppen ist die Festnahme ein großer Erfolg für die USA. Weltweit äußerten Regierungschefs die Hoffnung auf eine Stabilisierung der Lage im Irak. "Ich hoffe, dass seine Festnahme die Bemühungen der internationalen Gemeinschaft zum Wiederaufbau und zur Stabilisierung des Irak fördern wird", schrieb Bundeskanzler Gerhard Schröder in einem Glückwunschschreiben an Bush. Deutschland und Frankreich waren die schärfsten Gegner des von den USA am 20. März begonnen Krieges gegen den Irak.
"Verbesserung der Sicherheitslage nicht zu erwarten"
Auch sieben Monate nach dem von Bush erklärten Ende der Hauptkampfhandlungen klaffen die Standpunkte in der Irak-Politik weiter auseinander. Vor allem die Frage des Tempos der Machtübergabe an die Iraker ist umstritten. US-Verteidigungsexperten sahen nach der Festnahme eine Chance für die USA, die finanzielle Unterstützung der Kriegsgegner beim Wiederaufbau des Irak zu gewinnen. "Dies ist ein kritischer Punkt für die Bemühungen, den Irak zu befrieden und zu stabilisieren. Die Zeit, in der wir eine starke US-Militärpräsenz brauchen, wird wohl verkürzt werden können", sagte Loren Thompson vom Lexington Institute. Sicherheitsexperten warnten indes, eine unmittelbare Verbesserung der Sicherheitslage im Irak sei nicht zu erwarten.
Die Menschenrechtsorganisation "Human Rights Watch" hat den provisorischen irakischen Regierungsrat vor einem "politischen Schauprozess" gegen den früheren irakischen Diktator Saddam Hussein gewarnt. "Es ist wichtig, dass das irakische Volk sich für den Prozess verantwortlich fühlt", sagte der Geschäftsführer der Organisation, Kenneth Roth, in New York. "Aber es ist genauso wichtig, dass der Prozess nicht als Rachejustiz verstanden wird. Deshalb müssen internationale Juristen an dem Verfahren beteiligt werden." Jeder Prozess gegen Saddam müsse internationale Standards erfüllen.
Auf der Fahndungsliste stehen noch 14 Namen
Mit Saddam Hussein haben die USA die Nummer eins auf ihrer Liste der meistgesuchten Iraker verhaftet. Auf den Plätzen zwei und drei folgten ursprünglich die beiden Söhne des Exdiktators, Kusai und Odai Hussein, die am 22. Juli von US-Soldaten getötet wurden. Von den insgesamt 55 Spielfiguren des Kartenspiels sind inzwischen 41 gefasst oder nicht mehr am Leben.
Nach wie vor auf der Fahndungsliste stehen 14 Vertreter des gestürzten Regimes. Von den zehn wichtigsten Gesuchten sind nur noch die folgenden Zwei auf freiem Fuß.
Issat Ibrahim el Duri: Der frühere Stellvertreter Saddam Husseins steht auf Platz sechs der US-Liste. Er zählte zum innersten Zirkel des irakischen Regimes und war unter anderem stellvertretender Leiter des Revolutionären Kommandorates.
Hani Abd el Latif Tilfah el Tikriti: Saddam Husseins Neffe, die Nummer sieben, war Direktor des Inlandsgeheimdienstes SSO.