Schweden Die Schweden glauben an den "guten Staat"

Die Staatsverschuldung ging aufgrund des schwedischen Reformkurses der Neunziger deutlich zurück. Inzwischen wurden die Sparmaßnahmen teilweise wieder zurückgenommen.

Für deutsche Ohren bekennen verblüffend viele Schweden frohgemut, dass sie fast grenzenloses Vertrauen in die Staatsmacht haben. Der Glaube an den "guten Staat" gehört nach einer in Stockholm weit verbreiteten Auffassung zu den wichtigsten Faktoren für den international als erfolgreich eingestuften Umbau des "Schwedischen Modells". Im vergangenen Herbst konnte der sozialdemokratische Ministerpräsident Göran Persson seine Wiederwahl auch mit der Botschaft sichern, nun gebe es nach der geglückten Haushaltssanierung "genügend Luft", um den Bürgern immerhin teilweise zurückzugeben, was ihnen der Staat in Krisenzeiten genommen habe.

Tatsächlich hatte seine Regierung schon im Vorjahr das Arbeitslosengeld wieder auf 80 Prozent des vorherigen Einkommens angehoben. Die Senkung von 90 auf 75 und später sogar 70 Prozent gehörte in den schwedischen Krisenjahren zwischen 1992 und 1996 zum Kern der staatlichen Sparmaßnahmen gegen immer höhere Staatsverschuldung, den zeitweiligen Zusammenbruch des Zinssystems und daraus folgender Handlungsunfähigkeit der Regierung.

Vorbild für deutsche Sozialdemokraten und Gewerkschaften

Vorübergehend drastisch gesenkt wurde in diesen Jahren auch die Lohnfortzahlung bei Krankheit. Verzichten mussten die Schweden unter anderem auf zwei Urlaubstage. Verschiedene staatliche Pensionszahlungen fielen dünner aus, während gleichzeitig die Eigenbeiträge zur Rentenversicherung kräftig stiegen.

"Wer Schulden hat, ist nicht frei", verkündete Persson jahrelang als Mantra seiner Sparpolitik, die er als einzigen Weg zur langfristigen Sicherung des "Schwedischen Modells" hinstellte. Als der bullige Sozialdemokrat den Staatshaushalt ohne jahrelange zermürbende Debatten, Furcht erregende Massendemonstrationen oder nennenswerte Proteststreiks Schritt für Schritt in Richtung schwarze Zahlen bringen konnte, setzte ein in Stockholm aufmerksam, aber auch amüsiert notierter "Massen-Tourismus" aus Deutschland ein. In der zweiten Hälfte der 90er Jahre pilgerten immer neue Gruppen mit vorwiegend sozialdemokratischer und gewerkschaftlicher Besetzung in den Norden, um die Umbaukünste der schwedischen Kollegen und Genossen zu studieren.

Bürger gehen davon aus, dass die Politiker im Interesse der Allgemeinheit handeln

Hans Tson Söderström, Chef des Wirtschaftsinstitutes SNS, meint im Rückblick, dass die Stockholmer Regierung damals auch eine gehörige Portion Glück hatte: "Wer konnte schon ahnen, dass die Arbeitslosenzahlen so schnell und kräftig sinken würden?" Als wichtigen Unterschied zum schleppenden Reformprozess in Deutschland sieht er die Grundstimmung in der Bevölkerung: "Bei uns gehen die Menschen schon davon aus, dass Politiker im Interesse der Allgemeinheit handeln." Auch die traditionell starken, inzwischen aber sichtlich geschwächten Gewerkschaften hätten früh begriffen, dass das "Schwedische Modell" nicht länger haltbar gewesen sei.

Stolz konnte Persson im letzten Wahlkampf verkünden, er habe sein 1996 gegebenes Versprechen eingelöst und die Arbeitslosenquote in vier Jahren von acht auf vier Prozent halbiert. Inzwischen sind gerade deswegen neue Probleme aufgetaucht, die an die alten erinnern: Der Krankenstand an Arbeitsplätzen der Privatwirtschaft und vor allem im öffentlichen Dienst ist so kräftig angestiegen, dass die in Schweden aus der Staatskasse finanzierte Lohnfortzahlung den Haushalt wieder in den roten Bereich zu bringen droht. Zugleich erlebt Schweden den größten Streik im öffentlichen Dienst, mit dem Krankenschwestern, Altenpfleger und ähnliche Berufsgruppen einen kräftigen Nachschlag dafür verlangen, dass die Staatskasse nicht zuletzt durch eisernes Sparen bei ihren Einkommen saniert worden ist.

Thomas Borchert

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