Vor einigen Wochen klagte Zyperns stellvertretende Staatsministerin für maritime Angelegenheiten, Marina Chatzimanoli, über die Verschärfung des türkischen Embargos gegen zypriotische Schiffe. Das seit 1987 bestehende Gesetz, wonach Schiffe unter zypriotischer Flagge nicht an Häfen in der benachbarten Türkei anlegen dürfen, wurde demnach zuletzt auf Schiffe unter zypriotischem Management ausgeweitet.
Moritz Rau, Politikwissenschaftler und ehemaliger Wissenschaftler bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin mit Forschungsschwerpunkt Griechenland, Türkei und Zypern erklärt gegenüber dem stern die Hintergründe des Seestreits: "Der Konflikt über das internationale Seerecht dreht sich vor allem um die in den 2010er-Jahren entdeckten Erdgasvorkommen vor der Insel Zypern." Streitpunkt seien unterschiedliche Auffassungen über den Verlauf der Seegrenzen bzw. der maritimen Wirtschaftszonen und damit über die Zugangs- und Vermarktungsrechte der Gasfelder. Denn eine Förderung des Erdgases im Mittelmeer verspricht einen Milliarden-Profit.
"Die Türkei erkennt die Ausschließliche Wirtschaftszone der Republik Zypern nicht an und erhebt eigene wirtschaftliche Nutzungsansprüche auf einen Teil dieser Zone. Darüber hinaus sieht sie sich als Schutzmacht der aus ihrer Sicht benachteiligten türkischen Zyprer", führt Rau fort.
Türkei und Zypern im jahrzehntelangen Streit
Der Konflikt steht im Schatten der sogenannten Zypernfrage, welche seit Jahrzehnten ungelöst ist. Nach einer Militärintervention der Türkei im Jahr 1974 und der anschließenden Besetzung von etwa einem Drittel der Insel infolge eines griechischen Putschs kam es zu einer Spaltung Zyperns; der Nordteil ist heute türkisch besetzt, die im Südteil gelegene Republik Zypern ist griechisch geprägt. Dazwischen liegt eine Pufferzone, die sogenannte Grüne Linie, welche von Blauhelm-Soldaten der Vereinten Nationen (UN) überwacht wird. Seit 2017 verlaufen die Gespräche über eine Wiedervereinigung mit dem besetzten Nordteil ohne Fortschritt. Ganz Zypern ist seit 2004 EU-Mitglied, wenn auch EU-Recht nur im Südteil angewandt wird. Die 1983 einseitig ausgerufene "Türkische Republik Nordzypern" wird international nur von der Türkei anerkannt.
Marian Wendt, Verwaltungsjurist und Leiter des Auslandsbüros der Konrad-Adenauer-Stiftung für Griechenland & Zypern verdeutlicht: "Die Regierung der Republik Zypern übt de facto keine Kontrolle im besetzten Nordteil aus. Es gilt theoretisch weiterhin die Verfassung der Republik Zypern von 1960. Da gibt es zum Beispiel eine Regelung, wonach der Vizepräsident der Republik türkischer Zypriot sein soll und ein Drittel der Abgeordneten im Parlament aus der türkisch-zypriotischen Gemeinschaft stammen sollen. Diese Positionen werden aber aktuell aufgrund der De-facto-Teilung der Insel nicht besetzt."
Der Konflikt ist längst verhärtet. Zumal die Türkei neben Großbritannien und Griechenland eine der drei Garantiemächte Zyperns sei "und damit qua Status ein wichtiger Akteur, der über die Zukunft der Insel mitentscheidet", erklärt der Politikwissenschaftler Rau. Die Zypernpolitik der Türkei sei stark von eigenen sicherheitspolitischen Erwägungen geprägt. "In geostrategischer Hinsicht weisen türkische Sicherheitskreise der Insel Zypern sowohl die Rolle eines 'Vorpostens' zur Verteidigung des anatolischen Festlandes als auch zur Stärkung des Einflusses im östlichen Mittelmeer zu."
Die große Herausforderung: Die Lösung der Zypernfrage
Zahlreiche Vermittlungsversuche der UN zur Überwindung der Teilung verliefen bislang erfolglos. Denn die Türkei, Zypern sowie die UN stellen unterschiedliche Forderungen zur Lösung. Letztere schlagen die Bildung einer Föderation zweier politisch gleichgestellter Bundesstaaten vor. Die Zyperngriechen sind dazu bereit, machen die Bildung einer starken Zentralregierung und einen Abzug der türkischen Truppen, welche laut UN-Schätzungen derzeit etwa bei 30.000 Soldaten liegen, jedoch zur Voraussetzung. Die Regierung in Ankara und die der "Türkischen Republik Nordzypern" fordern hingegen eine Zwei-Staaten-Lösung.
Die Politikwissenschaftlerin Dr. Ebru Turhan von der Türkisch-Deutschen Universität in Istanbul schätzte auf Nachfrage des stern, dass die Aufnahme von Gesprächen über die Modernisierung der EU-Türkei-Zollunion "die schrittweise Lösung des Zypernkonflikts fördern könnte". Demnach warte die Europäische Kommission seit 2017 auf ein Mandat des EU-Rates, um die Verhandlungen über die Zollunion aufzunehmen.
"Allerdings blockieren der EU-Rat und einzelne Mitgliedsstaaten wie Deutschland die Aufnahme dieser Gespräche wegen der östlichen Mittelmeerkrise und bilateralen Konflikten. Da für den erfolgreichen Abschluss der Reform der Zollunion auch die offizielle Anerkennung einer Handelsbeziehung mit Zypern durch Ankara erforderlich wäre, könnte die Aufnahme von Gesprächen über die Modernisierung der EU-Türkei-Zollunion eine Schlüsselrolle bei der Lösung des Zypernkonflikts spielen [...]", sagt Turhan.
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Rau glaubt indes nicht an eine baldige Einigung im Konflikt. "Anstelle einer umfassenden Lösung des Zypernkonflikts wird es daher mittelfristig eher darum gehen, auf vertrauensbildende Maßnahmen zu setzen, zivilgesellschaftliche Aktivitäten zu stärken und gemeinsame Infrastrukturen zu schaffen", sagt er. Um zwischen den Fronten zu vermitteln, bot Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) Ende Mai nach einem Treffen mit dem Präsidenten der Republik Zypern, Nikos Christodoulidis, deutsche Unterstützung bei der Lösung der Zypernfrage an.
Das Angebot des stern, sich im Kontext dieses Artikels zur türkischen Sichtweise auf das Thema zu äußern, hat die Botschaft der Türkei in Berlin nicht wahrgenommen.