Vielleicht ist die Lage genauso aufgebläht wie ihr Auslöser. Doch darum geht es längst nicht mehr, das sprichwörtliche Kind ist in den Brunnen, vielmehr: in den Atlantik gefallen. Die USA haben den vermeintlichen Spionageballon aus China vor der Ostküste abgeschossen. Dass dies am Ende das Fass zum Überlaufen bringt, ist unwahrscheinlich. Fragt sich nur, wie viele solche Vorfälle das angespannte Verhältnis noch verträgt, bis es zu einem ernsthaften Abschuss kommt.
Tagelang war das Objekt über das Land geschwebt, hatte mehrere Bundesstaaten überquert und dabei offenbar "sensible" Militärstützpunkte überflogen, in denen Medienberichten zufolge auch Nuklearwaffen lagern. Doch, wie das Pentagon selbst bereits am Freitag erklärte: Eine Bedrohung war der Ballon nicht. Weder für Menschen, noch für Staatsgeheimnisse.
Trotzdem hatte das weiße, circa drei Buslängen-große Etwas eine waschechte diplomatische Krise ausgelöst und damit offengelegt, wie groß der Misstrauensvorschuss ist, den sich Peking und Washington inzwischen gegenseitig eingestehen.
Die Frage im aktuellen stern-Titel: Wie stark ist China wirklich?
Auch, nachdem die US-Regierung den aus chinesischer Sicht lediglich verirrten Forschungsballon schließlich doch mit Gewalt vom Himmel geholt hatten, blieb man in Fernost erstaunlich ruhig. Peking nannte den Abschuss eine "Überreaktion", äußerte eine "starke Unzufriedenheit" über den Einsatz von Gewalt. Woher kommt die Besonnenheit? Eine mögliche Antwort: Peking kommt das Ballon-Dilemma ungelegen, wahrscheinlich noch weitaus ungelegener als für die USA.
Während die ganze Welt nun also darüber debattiert, ob ein Ballon eine neue Welle der Eskalation auslöst, fragt sich der stern im aktuellen Titel: Wie stark ist China wirklich?
Die Parteiführung kämpft nach fast drei Jahren letztlich gescheiterter Null-Covid-Politik inklusive anschließender, massiver Proteste damit, die angeschlagene Wirtschaft wieder zum Laufen zu bringen – mit mäßigem Erfolg. Auch schrumpft nicht nur die für die Parteiführung geradezu heilige Kennziffer Wirtschaftswachstum, sondern auch die Bevölkerung. Prognosen zufolge wird sich Chinas Bevölkerung bis 2100 halbiert haben. Gleichzeitig ergraut die Volksrepublik – nirgendwo sonst altert eine Bevölkerung in einem solchen Tempo. Auch außenpolitisch hat sich Peking in eine unbequeme Ecke manövriert. Die "felsenfeste" Freundschaft mit Russland hat sich als weitaus rufschädigender, wenig gewinnbringender Pakt mit einem isolierten Kriegstreiber erwiesen.
Fest steht: Nach 40 Jahren Rekordwachstum steht die Volksrepublik am Wendepunkt: nach unten. Der Traum vom Aufstieg zur Weltmacht könnte platzen. Das hat Folgen für das Regime – und unseren Wohlstand.