Eigentlich sollte es eine Feuerpause geben – zumindest hatten sich die Ukraine und Russland am Donnerstag darauf verständigt. Die Waffenruhe um Mariupol und die 65 Kilometer entfernte Stadt Wolnowacha in der Region Donezk war am Samstag für sieben Stunden angesetzt gewesen. Zwischen den Gefechten sollten Zivilisten unter anderem aus Mariupol evakuiert werden. Die Stadt steht unter Beschuss, war gestern ohne Strom und Wasser. Der Bürgermeister warnte vor einer Belagerung durch russische Truppen wie in Leningrad, Meldungen über Lebensmittelengpässe machten die Runde. Nun also eine Feuerpause, um die Bevölkerung zu retten. Doch daraus wurde nichts.
Beide Seiten werfen sich gegenseitig vor, die Feuerpause verletzt zu haben. Die "russische Seite" halte sich nicht an die Waffenruhe in der Hafenstadt Mariupol, teilte die Stadt im Nachrichtenkanal Telegram mit. "Aus Sicherheitsgründen wird deshalb die Evakuierung verschoben." Das russische Verteidigungsministerium teilte dagegen mit, der verabredete humanitäre Korridor sei beschossen worden.
Gleichzeitig teilte das Ministerium in Moskau mit, russische Truppen hätten Schüsse von Mariupol und aus dem Gebiet Donez abgefeuert. Zudem sei am Vormittag ein Wohnhaus gesprengt worden, in dem sich bis zu 200 Menschen aufgehalten haben könnten. Die Angaben ließen sich nicht überprüfen – das Rote Kreuz spricht dagegen von herzzerreißenden Szenen.
Westen lehnt Hilfe ab, Putin warnt und weitere Gespräche in Aussicht
Um das Leid zu beenden, hatte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj seine westlichen Partner dazu aufgefordert, eine Flugverbotszone über der Ukraine einzurichten. Das würde bedeuten, "dass russische Flugzeuge abgeschossen werden. Und man sich damit in einer Logik der Konfrontation verfängt", sagte etwa Großbritanniens Premierminister Boris Johnson. Der Westen lehnte die Forderung deshalb bisher ab. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg erklärte, die Alliierten seien sich einig, dass Nato-Flugzeuge im ukrainischen Luftraum nicht operieren sollten.
Möglicherweise zu Recht? Russlands Präsident Wladimir Putin reagierte prompt auf Selenskyjs Forderung – und zwar mit einer Drohung gen Westen. "Jede Bewegung in diese Richtung wird von uns als Teilnahme des jeweiligen Landes an einem bewaffneten Konflikt betrachtet", ließ der russische Machthaber wissen. Zudem beharrte er weiter auf den Bedingungen für ein Kriegsende, unter anderem der Entmilitarisierung der Ukraine.
Trotzdem bemüht man sich weiter um Gespräche mit den Konfliktparteien. Wie bekannt wurde, soll es an diesem eine dritte Verhandlungsrunde zwischen der Ukraine und Russland über einen Waffenstillstand geben. Möglicherweise wird das Treffen erneut in Belarus stattfinden, ein Termin wurde bisher nicht genannt. Thematisch könnte es um Sicherheitsgarantien gehen, wie der russische Regierungssprecher Dmitri Peskow laut Agentur Tass erklärte. Und Präsident Putin hat angekündigt, die ukrainische Führung abzusetzen.
Unterdessen werden im Westen weitere Konsequenzen gezogen. Neben Unternehmen, die dem russischen Markt den Rücken kehren, verlassen auch immer mehr ausländische Journalisten das Land. Als Reaktion auf ein neues Mediengesetz in Russland stellen mehrere internationale Sender und Agenturen ihre Arbeit dort ganz oder teilweise ein, darunter der US-Sender CNN, die britische BBC, der kanadische Sender CBC und die Nachrichtenagentur Bloomberg. Auch ARD und ZDF teilten am Samstag mit, sie würden die Berichterstattung aus ihren Moskauer Studios erst einmal aussetzen.
Gefechte und Geflüchtete
Unterdessen gehen die Gefechte in der Ukraine weiter. Mit Panzerabwehrraketen seien Munitionsdepots in der westukrainischen Stadt Schytomyr zerstört worden, teilte der russische Militärsprecher Igor Konaschenkow mit. Insgesamt habe man bisher mehr als 2000 Objekte militärischer Infrastruktur und mehr als 700 Panzer der Ukraine vernichtet.
Auch das ukrainische Militär sprach von schweren Gefechten mit russischen Truppen. Es werde "erbittert gekämpft, um ukrainische Städte von den russischen Besatzern zu befreien". Regionen und Städte wurden nicht genannt. In der Hauptstadt Kiew war die Nacht nach Angaben der Behörden ruhig. Nach ukrainischer Darstellung versucht die russische Seite, Kiew und Charkiw zu umzingeln. Die ukrainische Armee betont immer wieder, Angriffe würden zurückgeschlagen und den Gegnern Niederlagen zugefügt.
Die Kämpfe treiben immer mehr Ukrainer aus dem Land. Laut Bundespolizei wurden in Deutschland bislang 27.491 Kriegsflüchtlinge registriert. Allerdings könnte die tatsächliche Zahl deutlich höher sein, denn durch die fehlenden Grenzkontrollen könne nur ein Teil abgebildet werden. Weltweit waren nach Schätzung des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR bis Samstag mehr als 1,36 Millionen Menschen aus der Ukraine geflohen, die meisten davon nach Polen.
Unterdessen ist die vereinbarte Feuerpause in Mariupol und Wolnowacha endgültig vorbei. Das russische Militär hat eigenen Angaben zufolge seine Angriffe auf die ukrainischen Städte fortgesetzt. Die Kampfhandlungen seien um 16.00 Uhr (MEZ) nach einer mehrstündigen Feuerpause fortgesetzt worden, teilte das Verteidigungsministerium in Moskau laut Agentur Interfax mit.
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