Subtil, eher von der Seite, verwoben in Metaphern – bis auf wenige Ausnahmen gab sich Taylor Swift lange Zeit apolitisch. Das hat sich erst 2018 geändert
Javier Milei – der Mann mit der Kettensäge – hat gute Chancen, der nächste Präsident Argentiniens zu werden. Gleich zwei Gruppierungen wollen das verhindern: Fans von Taylor Swift und der K-Pop-Band BTS.
Eine Inflationsrate von 138 Prozent, politischer Verdruss, 40 Prozent der Menschen unter der Armutsgrenze – die Lage für die Bevölkerung in Argentinien ist dramatisch. In diese Gemengelage stößt Javier Milei. Seines Zeichens Rechtspopulist und Präsidentschaftsbewerber mit dem Motto: Alles muss klitzeklein geschlagen werden, bevor es neu gebaut werden kann. Das symbolisiert auch sein Markenzeichen: die Kettensäge. Ihn will eine Gruppe Swifties, Fans der Sängerin Taylor Swift, verhindern.
Javier Milei folgt einem Slogan der Wahlkampagne des Ex-US-Präsidenten Bill Clinton 1992: "It's the economy, stupid!" Die Wirtschaft entscheidet die Wahl. Der 53-jährige studierte Ökonom bezeichnet sich selbst als "Anarcho-Kapitalist". Den Wahlkampf führt er durch turbulente, unangekündigte Auftritte in armen Vierteln – und indem sein Team Video-Schnippsel dieser Auftritte auf den sozialen Medien verbreitet. Dort lässt er die Motorsäge in einer Menschenmenge röhren, lässt Fake-Dollars mit seinem Konterfei regnen und hetzt gegen die politische Elite: "Die Kaste zittert vor uns!" Die Menge brüllt begeistert zurück. Das klassische Narrativ: Wir gegen die.
Er verspricht den Menschen, anders zu sein als die aktuelle Regierung. Die Landeswährung Peso will er durch den US-Dollar ersetzen, die Zentralbank sprengen, zahlreiche Ministerien verbieten lassen. "Bildungsministerium: Reine Indoktrination, weg damit", sagt er in einem Video, und reißt einen Zettel nach dem anderen von der Wand ab. "Verkehrsministerium: Weg damit. Gesundheitsministerium: Weg damit."
Milei wird als argentinischer Donald Trump bezeichnet
Abseits seiner wirtschaftlichen Ausrichtung vertritt Milei eine Ideologie, die weniger Parallelen zu Clinton, als viel mehr zu Ex-US-Präsident Donald Trump aufweist. Der menschengemachte Klimawandel: Unfug. Wahlergebnisse: fragwürdig. Abtreibungen: Mord. Waffengesetze: Wer braucht denn sowas?
Seine Basis ist eine junge Generation, die offenbar die Hoffnung verloren hat. 27 Prozent seiner Wählerinnen und Wähler sind zwischen 17 und 25 Jahre alt, zeigen Umfragen. Gegenkandidat Sergio Massa, der amtierende Wirtschaftsminister, kann nur knapp neun Prozent der jungen Leute von sich überzeugen. In der ersten Wahlrunde lag Massa überraschend mit 36 Prozent vorne, Milei mit 30 Prozent etwas dahinter. Umfragen sehen Milei bei der Stichwahl am 19. November vorne.
Diese beiden treten bei der Stichwahl in Argentinien am 19. November gegeneinander an: der Rechtspopulist Javier Milei (links) und Wirtschaftsminister Sergio Massa
Doch es scheint ein kleines, gallisches Dorf in dieser jungen Wählerschaft Argentiniens zu geben: Swifties. Fans der Popikone haben sich zusammengerottet und bezeichnen den rechtspopulistischen Präsidentschaftsbewerber als Gefahr für das Land. Auf sozialen Netzwerken machen sie auf Accounts wie "Swifties porla patria", Swift-Fans für das Vaterland, Stimmung gegen Milei. "Milei = Trump", ist dort zum Beispiel zu lesen.
Die Gruppe wolle "auf der richtigen Seite der Geschichte stehen", heißt es in einer Erklärung, und erinnert damit an Aussagen von Swift. "Wir können nicht anders, als zu kämpfen, nachdem wir gehört und gesehen haben, dass Taylor alles gibt, damit die Rechte in ihrem Land nicht gewinnt."
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Demokraten und Republikaner wollten Taylor Swift vereinnahmen
Swift hat ihre Karriere als Countrysängerin begonnen, einer eher republikanisch geprägten Domäne. Über zwölf Jahre ist sie öffentlich apolitisch, unterbindet Nachfragen dazu stets mit dem Argument: "Ich bin eine Sängerin, meine Meinung will niemand hören." Talkshow-Moderator David Letterman hält ihr 2012 auf eine ähnliche Aussage seine Faust hin, das Publikum johlt. Das behält sie selbst bei den US-Präsidentschaftswahlen 2016 bei, die bekanntermaßen Donald Trump für sich entscheiden konnte. Der englische "Guardian" bezeichnete Swift später sogar als "Botschafterin für Trumps Werte".
Ihre lange, öffentliche (Ent-)Haltung bereue sie noch heute, gesteht sie 2020 in der von Netflix produzierten Dokumentation "Miss Americana". Doch bei den Zwischenwahlen 2018 ist für sie der Zeitpunkt gekommen: Sie bricht mit dem Image als "Everybody's Darling". Obwohl – so ist in der Doku zu sehen – ihr Team und ihr Vater sie davon abbringen wollen. Ihr Umfeld sorgt sich um ihre Sicherheit – und um schwindende Verkäufe.
Doch nun wolle sie auf der richtigen Seite der Geschichte ein, sagt sie – und setzt kurz darauf einen Post auf Instagram ab. Jede Form der Diskriminierung und Rassismus lehne sie ab, schreibt sie dort. Deshalb müsse sie sich gegen die republikanische Kandidatin ihres Heimatstaates Tennessee aussprechen, damals Marsha Blackburn. Swift werde ihre Stimme für die demokratischen Kandidaten abgeben. Zudem ruft sie dazu auf, sich als Wähler oder Wählerin zu registrieren und sich über die zur Wahl stehenden zu informieren.
Neues Album, Stilikone, Weltstar – das Leben von Taylor Swift in Bildern
Neues Album
Mit "The Tortured Poets Department" veröffentlicht Taylor Swift ihr elftes Studioalbum und hat für ihre Fans eine Überraschung parat: Die Platte ist ein Doppelalbum. Das Extra-Album "The Anthology" umfasst 15 Songs – zusätzlich zu den 16 Titeln des eigentlichen Werks. Swift arbeitete unter anderem mit der britischen Rockband Florence + The Machine zusammen. Auf der ersten Single-Auskopplung "Fortnight" ist sie mit dem US-Rapper Post Malone zu hören. Zudem spekulieren ihre Fans, dass die Sängerin mit ihrer neuen Musik die Trennung von Schauspieler Joe Alwyn verarbeitet, mit dem sie von 2017 bis 2023 liiert war.
Was folgt, zeigt, welchen Einfluss die damals 29-Jährige hat. Mehr als 100 Millionen Follower sehen diesen Post. Danach wird vote.org, eine Website zur Wählerregistrierung, fast zum Einsturz gebracht. In weniger als zwei Tagen registrieren sich USA-weit 166.000 Menschen als Wähler oder Wählerin. 42 Prozent davon sind zwischen 18 und 24 Jahre alt – die Zielgruppe der Popsängerin. Ein Rekord für vote.org, sagt eine Unternehmenssprecherin danach in einem Interview: "Das geht weit über das hinaus, was wir normalerweise sehen." Selbst Präsident Trump, ein Republikaner, reagiert danach auf Swifts Statement: "Ich mag Taylors Musik jetzt um 25 Prozent weniger, ok?"
Auch wirtschaftlich gesehen ist Taylor Swift ein mächtiger Player. Ihre Alben brechen alle Rekorde. Mit ihrer "The Eras Tour" werden in manchen US-Bundesstaaten höhere Umsätze generiert, als das Bruttoinlandsprodukt ganzer Staaten. Als gemunkelt wird, dass Swift den Footballspieler Travis Kelce daten soll, schossen seine Trikotverkäufe um fast 400 Prozent in die Höhe, teilte die NFL mit. Swifties sind ein Wirtschaftsfaktor. Ökonomen bezeichnen den Einfluss der Sängerin deshalb als Swiftonomics. Kommt jetzt die Swiftopolitics?
Darauf scheinen einige Swifties in Argentinien zu hoffen. 1,5 Millionen Mal war ihr Statement gegen Javier Milei allein auf X (vormals Twitter) abgerufen worden. Dann deaktivierte die Plattform den Account ohne Erklärung, sagt die Gruppe der "New York Times". Mittlerweile gibt es einen neuen Account, auf dem sie vor allem dessen soziale Standpunkte in den Mittelpunkt rücken.
Im Gegensatz zu Trump wollte Milei diese Anstrengungen nicht weiter kommentieren. Einem Radiosender sagte der Präsidentschaftskandidat nur, er sei kein Rechter: "Die können sagen, was auch immer sie wollen."
BTS-Fans machen Stimmung gegen Milei's Vizekandidatin
Unterstützung erhalten die Swift-Fans von einer anderen mächtigen Basis – und weiteren potenziellen Jungwählerinnen und -wählern: der selbst ernannten "Army", den Fans der K-Pop-Gruppe BTS. Wohl keine Anhängerschaft ist so gut organisiert, vernetzt und aktiv wie diese. Ende Oktober kamen Tweets von Milei's Vizekandidatin Victoria Villarruel an die Öffentlichkeit. 2020 hatte diese den Namen BTS mit einer Geschlechtskrankheit verglichen und sich über die bunten Haare einiger Mitglieder lustig gemacht.
Die Reaktion der besonders loyalen BTS Army ist heftig. In vielfachen Tweets werfen sie Villarruel Fremdenfeindlichkeit vor. Einige kündigen an, ihr Kreuzchen bei der Stichwahl deshalb zu ändern. So schreibt eine Nutzerin beispielsweise: "Leider hatte ich vor, für sie zu stimmen, aber jetzt werde ich für den anderen Kandidaten stimmen."
In diesen Tagen tritt Taylor Swift dreimal in der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires auf. Organisierte Swifties wollen bei diesen Auftritten Anti-Milei-Plakate verteilen. Über Whatsapp haben sie sich koordiniert, berichten sie der "New York Times".
2018 gewann trotz Swifts kurzfristiger Unterstützung die Trump-loyale Republikanerin Marsha Blackburn. 2020 wurde Trump jedoch aus dem Weißen Haus gewählt – junge Wählerinnen und Wähler waren dabei auch entscheidend. Was in Argentinien passiert, entscheidet sich am 19. November.