Am 210. Tag des Krieges gegen das Nachbarland Ukraine hat der russische Präsident Wladimir Putin eine Teilmobilmachung der eigenen Streitkräfte angeordnet. Er habe diese Entscheidung nach einem Vorschlag des Verteidigungsministeriums getroffen und das Dekret unterschrieben, sagte der Kremlchef in einer Fernsehansprache. Die Teilmobilisierung beginne noch an diesem Mittwoch.
Damit will Putin auch Personalprobleme an der Front lösen. Zugleich kündigte Putin an, die "Referenden" in den besetzten Gebieten der Ukraine über einen Beitritt zu Russland zu unterstützen. So kommentiert die Presse die weitere Eskalation Putins:
"Badische Zeitung" (Freiburg): "Will der Westen glaubwürdig bleiben, hat er kaum eine andere Wahl, als Kiew weiter militärisch zu unterstützen. Alles andere würde bedeuten, Putins nuklearer Erpressung nachzugeben. Wer würde Russland dann noch entgegentreten, wenn es anderswo auf Landraub geht? Welche Lehren würden der Iran oder Nordkorea daraus ziehen? Eine Welt, in der Atommächte mit dem Dritten Weltkrieg drohen, um ihre Interessen durchzusetzen, ist gewiss keine friedlichere."
„Hannoversche Allgemeine Zeitung“ (Hannover): "Es bleibt wahr, dass ein so gefährlicher Charakter wie Putin für Vernunft, Frieden und Freiheit unerreichbar ist und nur eine Sprache versteht: Gegenwehr. Der Zeitpunkt rückt näher, dass den Worten auch umstrittene Waffen folgen werden. Die Nato-Staaten geraten weiter unter Handlungsdruck, Kiew doch direkt Kampfpanzer westlicher Bauart zu liefern. Bundeskanzler Olaf Scholz hat nie gesagt, dass er keine Leopard-2-Panzer liefern wird. Er hat nur gesagt, dass er keine Alleingänge macht. In dem Moment, da die USA dazu bereit wären, dürfte auch Deutschland dabei sein."
„Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (Frankfurt): "Im Ringen mit Putin bleibt der Westen nur ein glaubwürdiger Gegner, wenn er der Ukraine tatsächlich weiter zur Seite steht, mindestens im bisherigen Ausmaß. Lässt er sich von Putin nuklear erpressen, dann braucht er das Wort von der regelbasierten Weltordnung, die es zu verteidigen gelte, nicht mehr in den Mund zu nehmen, auch nicht gegenüber allen anderen Diktatoren."
„Stuttgarter Zeitung“ (Stuttgart): "Wladimir Putin hat den Russen seit Langem erklärt, dass sich die Welt gegen Russland verschworen habe. Nun gehe es darum, das Vaterland zu schützen. Und weil der Kremlchef ein gewiefter Taktiker ist, werden die Grenzen des Landes flugs ausgedehnt. Das kann verfangen.
Was von den russischen Besatzern übrigblieb – die Gebiete im Nordosten nach ihrer Befreiung

„Süddeutsche Zeitung“ (München): "Über viele und aus Sicht vieler Russen durchaus gelungene Jahre hinweg lautete der Vertrag Wladimir Putinsmit der Bevölkerung, dass der Kreml Wohlstand und Stabilität liefert und die Russinnen und Russen dafür auf nennenswerte kritische oder politische Aktivitäten verzichten. Es war ein Pakt, dem sich nie alle angeschlossen haben, der aber zum Befremden vieler westlicher Beobachter selbst nach dem Überfall auf die Ukraine in weiten Kreisen eine gewisse Wirkung behielt. Dieser Pakt wurde nun einseitig gekündigt. Die Illusion der Folgenlosigkeit des Krieges ist nicht länger aufrechtzuerhalten.
Ausländische Presse: "Putin schickt seine Leute zum Schlachter"
"De Standaard" (Belgien): "Es stellt sich die Frage, inwieweit der Westen weiterhin militärische und logistische Unterstützung leisten kann, ohne dass die nukleare Bedrohung tatsächlich gefährlich wird. Dieser nukleare Schatten und die Folgen der Energiekrise lassen die bedingungslose Unterstützung der Ukraine in Europa langsam schwinden. Putin bleibt ein mörderischer Kriegsverbrecher. Dennoch sollte eine "goldene Brücke" in Erwägung gezogen werden, die ihm einen aus seiner Sicht akzeptablen Rückzug bietet. Wenn Friedensgespräche diplomatisch unmöglich bleiben, müssen wir angesichts der Ungewissheit das Schlimmste befürchten."
"DNA" (Frankreich): "Die Mobilmachung von 300 000 Reservisten trägt in sich den Keim eines noch größeren kollektiven Traumas einer bereits mitgenommenen Nation. Denn die bereits enorme Zahl an Verlusten und Verwundeten an der Front wird automatisch explodieren, wenn die Rekruten erst einmal in den Kugelregen kommen. Es gibt keine Garantie dafür, dass das russische Volk dieses neue Blutvergießen ohne zu murren über sich ergehen lassen wird. Ab nun wird jede Familie von diesem Krieg, der noch als "Spezialoperation" getarnt ist, getroffen werden. Jeder Haushalt wird direkt betroffen sein."

"Tages-Anzeiger" (Schweiz): "300.000 Mann kann der Kreml nicht mehr aus sozialen, ethnischen oder geografischen Randgruppen rekrutieren. Mit der Teilmobilmachung trägt er den für viele Bürger fernen Ukraine-Krieg mitten in die russische Gesellschaft. Und auch seine Anhänger, die heute vom Sofa aus mehr Härte verlangen vom Kreml, könnten schnell das Lager wechseln, wenn plötzlich sie und ihre Lieben gezwungen werden, in Putins Krieg zu ziehen. Damit droht mit der Mobilmachung nicht nur der Ukraine, sondern auch Russland der Tag der Wahrheit. Und allen voran Wladimir Putin, der alles auf eine Karte setzt. Und damit auch alles verlieren könnte."
"The Irish Times" (Irland): "Als Putin am 24. Februar eine Atomdrohung aussprach, während seine Panzer in die Ukraine rollten, tat er dies aus einer Position der Stärke. Es wurde allgemein erwartet, dass Russland innerhalb weniger Tage die Kontrolle in Kiew übernehmen würde. Seine jüngste Drohung erfolgte aus einer Position der Schwäche. Dass Putin nun praktisch eingesteht, dass sich das Kriegsgeschehen gegen ihn wendet, wird die Ukraine und ihre westlichen Partner ermutigen. Aber ein russischer Präsident, der um das Überleben seines Regimes kämpft, bedeutet, dass der Krieg in eine neue, noch gefährlichere Phase eintritt."
"Financial Times" (Großbritannien): "Die Entschlossenheit der westlichen Unterstützer der Ukraine sollte angesichts eines solchen Säbelrasselns, das auf das Eingeständnis des großen Fehlers hinausläuft, den Putin mit der Invasion der Ukraine begangen hat, nicht nachlassen. Durch die Einberufung von Reservisten kann er diesen Fehler nicht beheben. Das soll allerdings nicht heißen, dass seine Atomdrohungen einfach so abgetan werden sollten: Sie sind ernst zu nehmen und können, wenn sie falsch gehandhabt werden, zu einer Katastrophe führen. Ein in die Enge getriebener, atomar bewaffneter Autokrat ist einer, der gefährlich und unberechenbar ist – für sein eigenes Volk, für die Ukraine und für die Welt."
"Pravo" (Tschechien): "Russland schickt rund 300.000 seiner Söhne zusätzlich in den Krieg gegen die Ukraine. Der eigenen Bevölkerung muss das Land nun erklären, warum dies geschieht. Selbst für ein Regime, das in jeder Hinsicht lügt und freiheitlich denkende Menschen verfolgt, wird das nicht leicht sein. Die Reservisten rücken zu einer Verteidigungsoperation ein, die auf einem fremden Staatsgebiet geführt wird und bisher alle ihre Ziele erreicht haben soll. Es ist ein Widerspruch nach dem anderen. (...) Dennoch bleibt das Bild der sogenannten Spezialoperation in der russischen Öffentlichkeit unverändert. Rund drei Viertel der Menschen befürworten den Krieg und rund 80 Prozent vertrauen immer noch dem russischen Präsidenten Wladimir Putin. Ein Wechsel an der Macht ist nicht in Sicht – und das in einem Moment, in dem Putin die eigenen Leute zum Schlachter schickt."