Tzipi Livni "Niemand will, dass der Iran gewinnt"

Israels Außenministerin Tzipi Livni hat Hochrechnungen zufolge die Wahl um den Chefposten der Kadima-Partei gewonnen - damit könnte sie bald die nächste Regierungschefin sein. Im stern-Interview spricht sie über die Gefahr, die vom Iran ausgeht und warum der Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern der Vergangenheit angehört.

Frau Außenministerin, sprechen wir mit der nächsten Premierministerin Israels?

Das hoffe ich.

Dann wären Sie die zweite Frau in diesem Amt - nach Golda Meir. Die galt als zu zögerlich vor dem Yom-Kippur-Krieg, das kostete sie 1974 den Job. Und bis heute sagen viele in Ihrem Land: Eine Frau ist nicht tough genug, Israel zu führen.

Das letzte, was ich möchte, sind Vergleiche, egal ob mit Männern oder Frauen. Auch nicht mit Premierministern der Vergangenheit.

In Ihrem Land wählen die Leute gern Männer aus dem Militär ...

... ich mag die Armee und die Generäle auch.

Selbst auf höchsten politischen Posten?

Israel sieht sich einigen Bedrohungen gegenüber, auf die man eine militärische Antwort finden muss - aber nicht nur. Wer Israel führen will, muss diesen neuen Bedrohungen mit einem strategischen Verständnis begegnen, einem Verständnis dafür, wohin sich die Region bewegt. Die Antwort kann nicht ausschließlich in militärischer Gewalt bestehen. Der Job eines Regierungschefs ist es, strategisch zu denken, die Lage aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten. Nicht nur aus dem militärischen.

Falls der Iran sein Atomprogramm weiter ausbaut, halten viele Bürger Ihres Landes einen Militärschlag für unvermeidlich. Auch Ihr Konkurrent um den Posten des Parteivorsitzenden und des Premiers, der ehemalige Generalstabschef Shaul Mofaz, denkt so.

Ich habe großen Respekt vor den Generälen. Als Premierministerin sollte ich ihren Rat in Betracht ziehen. Wie die Expertisen anderer Experten in anderen Fällen. Aber die Entscheidung liegt dann bei mir.

Glauben Sie, dass im Falle des Iran die Zeit langsam knapp wird?

Oh ja.

Und dass die Frage nach einem Militäreinsatz sehr bald auf Ihren Tisch kommt?

Die Sache ist äußerst dringlich. Die gesamte internationale Gemeinschaft hat heute begriffen, dass der Iran eine Bedrohung ist. Und zwar nicht nur für Israel, sondern auch für die unmittelbaren Nachbarn des Iran. Politik in dieser Weltgegend funktioniert nach dem Prinzip: Entweder du schlägst den Rüpel, oder du schlägst dich auf seine Seite.

Sie meinen jegliche Unentschiedenheit schadet?

Ich habe viele Regierungschefs aus der Region getroffen, sogar einige, zu deren Ländern Israel keine diplomatischen Beziehungen hat.

Sie meinen Staaten wie Qatar oder Oman.

Es gibt jedenfalls neue gemäßigte Kräfte in der Region. Die müssen wir einbinden. Sie sind darauf angewiesen, dass die internationale Gemeinschaft Stärke zeigt. Jedes Zögern gilt als Schwäche.

Aber noch hat der Iran die Bombe nicht.

Er kann die Region nicht erst ab dem Tag verändern und beeinflussen, an dem er die Bombe hat oder die Technologie zu deren Bau beherrscht. Der Iran ist schon heute gefährlich.

Bisher argumentierte Israel immer, dass der Westen gegen den Iran einschreiten müsse, weil er nach der Bombe strebe. Nun klingt es so, als komme es gar nicht auf das Atomprogramm an.

Nein. Ich sage nur, dass jedes Zögern seinen Preis hat.

Lange galt Israel vielen Nachbarn als der Schrecken der Region. Jetzt ist es der Iran. Das kann Ihnen doch nur recht sein?

So, wie Sie das sagen, gefällt mir das nicht. Aber es stimmt: Viele verstehen jetzt besser, dass Israel keine Bedrohung für die Region ist und dass der Konflikt zwischen Israel und Palästinensern der Vergangenheit angehört, auch wenn wir ihn noch nicht gelöst haben. Die eigentliche Gefahr geht heute von religiösen Konflikten aus. Niemand will, dass der Iran die Vormacht gewinnt, niemand will, dass Hisbollah oder Hamas gewinnen - nicht in Israel und auch nicht in der arabischen Welt.

Politiker Ihrer Partei reden, als sei es nur noch eine Frage von Monaten, bis Israel militärisch eingreifen müsse. Zur Not auch allein.

Als Mitglied der Regierung liegen mir alle Lageberichte vor. Wir haben keine Zeit zu verschwenden.

Aber der israelischen Presse zufolge war ihre Haltung nicht immer so eindeutig. Sie würden den Iran gar nicht als existentielle Bedrohung sehen, hieß es dort

Stimmt aber nicht.

So markige Kriegsdrohungen wie von Shaul Mofaz sind von Ihnen aber nicht bekannt.

Es mag Unterschiede geben, wie laut manche Leute über bestimmte Dinge reden.

Wäre Israel in der Lage, allein loszuschlagen?

Ich mache keine Andeutungen darüber, was Israel militärisch unternehmen wird und was nicht.

Noch im Januar haben Sie gesagt: "Israel muss sich nicht dafür entschuldigen, wenn es seine Bürger verteidigt, und Israel wird wie in der Vergangenheit handeln und seine Pflicht gegenüber den Bürgern Israels erfüllen, auch wenn es dafür verurteilt wird." War das eine Andeutung auf einen möglichen Angriff?

Das sagte ich in einem Vortrag. Ich möchte die Iran-Frage damit nicht vermischt sehen.

Die USA haben Israel sehr deutlich vor einem Angriff auf den Iran zum jetzigen Zeitpunkt gewarnt.

Kein Kommentar.

Ist der Iran wirklich die größte Bedrohung für Israel?

Der Iran ist Teil einer umfassenden Bedrohung durch den Extremismus in der Region.

Aha ...

Wer öffentlich davon redet, dass Israel von der Landkarte verschwinden soll, und gleichzeitig nach Atomwaffen strebt, ist die größte Bedrohung.

Vor einem Jahr bombardierte die israelische Luftwaffe einen Plutoniumreaktor in der syrischen Wüste, der angeblich kurz vor der Fertigstellung stand. In israelischen Sicherheitskreisen soll es ziemliche Aufregung darüber gegeben haben, weil der Reaktor reichlich spät entdeckt worden sei. Haben sich Israels Agenten zu sehr auf den Iran konzentriert?

Tut mit leid, ich kann nicht über etwas reden, was vergangenen Sommer in Syrien passiert ist oder nicht. Aber ich kann Ihnen versichern: Unsere Leute können sich um den Iran und Syrien gleichzeitig kümmern.

Israel scheint militärisch nicht mehr so effektiv zu sein wie früher. Ihre Armee ist 2006 in den Libanon einmarschiert, um die Hisbollah zu bekämpfen. Doch die ist heute stärker denn je.

Libanon ist ein Staat mit einer pragmatischen Regierung auf der einen und einer Terrororganisation auf der anderen Seite, die nicht libanesische, sondern iranische Interessen vertritt. Wir sind in diesem Krieg nicht gegen den libanesischen Staat vorgegangen, sondern gegen Hisbollah. So ein Konflikt ist schwerer zu gewinnen, denn für eine Terrororganisation ist es schon ein Sieg, wenn sie weiter existiert. Aber vor dem Krieg konnte die libanesische Regierung ihre Armee nicht in den Süden des Landes schicken. Heute ist das Monopol der Hisbollah dort gebrochen. Dafür gibt es ein neues Problem: Das UN-Waffen-Embargo gegen die Hisbollah funktioniert nicht, weil die Grenze zwischen Libanon und Syrien nicht wirkungsvoll überwacht wird.

Vor dem Krieg hatte die Hisbollah 14.000 Raketen, heute sollen es 40.000 sein. Sie sitzt in Beirut jetzt sogar mit in der Regierung.

Es geht nicht, dass die Internationale Gemeinschaft schweigt, wenn es im Libanon eine Regierung gibt, an der eine Terrororganisation beteiligt ist, die ein international verbindliches Waffenembargo unterläuft.

In der israelischen Regierung sind Sie zuständig für die Verhandlungen mit den Palästinensern. Ihr Verhandlungspartner Ahmed Qurai hat neulich gesagt: ‚Wenn wir keine Zwei-Staaten-Lösung hinkriegen, dann müssen Israelis und Palästinenser eben in einem Staat leben.' In so einem Staat wären die Juden schnell in der Minderheit, denn das Bevölkerungswachstum unter den Palästinensern ist viel größer.

Ich habe gerade zwei Stunden mit ihm zusammengesessen. Ich glaube, dass die Zwei-Staaten-Lösung den Interessen Israels und der Palästinenser entspricht. Dieses Szenario der Ein-Staaten-Lösung ist eine rhetorischer Drohung nach dem Motto: Gebt uns endlich unseren eigenen Staat, sonst...

Kommen Sie denn bei Ihren Verhandlungen überhaupt voran?

Heute haben wir uns über Wasserrechte unterhalten. Wasser ist ein Kriegsgrund in der Region. Wir arbeiten ganz konkret mit Karten. Wir brauchen keine vagen Absprachen über Grenzen, sondern eine Linie auf der Karte. Wir haben uns auf eine Liste von Fragen geeinigt, die geklärt werden müssen, als Grundlage für einen Vertrag, der die Interessen beider Seiten wahrt. Aber wir haben uns auch darauf geeinigt, dass nichts entschieden ist, bevor alles entschieden ist.

Wie lange wird es noch dauern, bis dieser Vertrag kommt?

Wir machen Fortschritte, aber wir sind noch nicht bei den heikelsten Fragen angelangt. Und wir beide haben der internationalen Gemeinschaft signalisiert, dass wir Zeit brauchen. Ein Scheitern können wir uns nicht leisten.

Werden Sie in der Politik bleiben, wenn Sie am 17. September die Wahl um den Parteivorsitz verlieren und damit die Chance, Premierministerin zu werden?

Ich bin in die Politik gegangen, um die Verhandlungen mit den Palästinensern zu führen. Ich glaube, dass meine Haltung in dieser Sache den Willen der großen Mehrheit der Israelis repräsentiert. Deshalb will ich die Verhandlungen auch in Zukunft führen. Aber natürlich will ich auch die Abstimmung in meiner Partei gewinnen.

Sie kommen aus einer bekannten Familie, die von einem Groß-Israel biblischen Ausmaßes träumte, das die Westbank, Gaza und weite Gebiete einschloss, die heute zu Jordanien gehören. Haben Sie diese Träume aufgegeben und mit ihrer Familie gebrochen?

Überhaupt nicht. Zu den Werten meiner Familie gehörte nicht nur der Glaube an ein Großisrael, sondern auch an ein gleichberechtigtes Zusammenleben von Christen, Muslimen und Juden zwischen Jordan und Mittelmeer. Für mich ist das wichtigste Ziel nicht, dass Juden im gesamten Gelobten Land leben, sondern dass Israel als demokratischer und jüdischer Staat erhalten bleibt. Meine Mutter hat das am Ende ihres Lebens akzeptiert.

Interview: Steffen Gassel und Hans-Hermann Klare