Mehrere Russische Frontsoldaten von erst kürzlich gegründeten Einheiten berichten von Zuständen, die man eigentlich nur aus der Roten Armee im Zweiten Weltkrieg kannte: Offenbar setzt der Kreml an der Front gezielt Kommandos ein, die Deserteure aufhalten und einen Rückzug der russischen Truppen verhindern sollen – notfalls mit Waffengewalt.
In einem Video sind knapp zwei Dutzend Soldaten in grünen Uniformen zu sehen, die sich mit einer Botschaft direkt an Präsident Wladimir Putin wenden. Sie seien der Rest einer Sturmtruppe – Spezialeinheiten, die das russische Verteidigungsministerium im Januar aufstellte, "speziell dafür konzipiert, die komplexesten und am stärksten gestaffelten Verteidigungssektoren der ukrainischen Streitkräfte zu durchbrechen", wie es damals hieß.
Ukraine: Kreml setzt offenbar "Sperrtruppen" ein, die Deserteure notfalls erschießen sollen
Doch offenbar sind diese speziell ausgebildeten Offensivtruppen zu Himmelfahrtskommandos geworden. Laut der Aussagen der Soldaten habe ihre Einheit aus ursprünglich 161 Mann bestanden. Nach 14 Tagen unter schwerem Mörser- und Artilleriebeschuss habe sie "große Verluste erlitten", wie einer der Soldaten, Alexander Gorin, erklärte. "34 Menschen wurden verletzt und 22 starben, darunter unser Kommandant", so Gorin weiter.
Die Truppe wollte sich zurückziehen und Bericht an ihr Hauptquartier erstatten. Doch ihre Vorgesetzten hätten ihnen den geordneten Rückzug verweigert. Dabei greift die russische Armee offenbar auf eine Taktik der Roten Armee aus dem Zweiten Weltkrieg zurück: Sogenannte "Sperrtruppen", die hinter der ersten Frontlinie positioniert werden und ein Zurückweichen oder die Dessertation von Einheiten verhindern sollen.
Vorbild "Strafniki": Auch die Rote Armee erschoss im Zweiten Weltkrieg eigene Soldaten
In der Sowjetarmee galten diese als "Strafniki" bezeichneten Einheiten als besonders berüchtigt. Oftmals bestanden sie aus Kriminellen, politisch Verfolgten oder Soldaten mit Disziplinarstrafen. Ihre Aufgabe folgte im Grunde nur Befehl 227 von Josef Stalin: "Keinen Schritt zurück". Demnach war die Aufgabe der "Strafniki" im Falle eines "ungeordneten Rückzugs jeden Flüchtenden und jeden Feigling zu erschießen und damit dem ehrlichen Kämpfer bei der Verteidigung seiner Heimat beizustehen", wie Stalin es nannte.
Nun setzt der Kreml unter Wladimir Putin offenbar ähnliche Truppen ein, wie die Soldaten im Video berichten: "Sie haben Sperrtruppen hinter uns postiert und lassen uns nicht von unserer Position weg ... Sie drohen, uns einzeln und als Einheit zu vernichten. Sie wollen uns als Zeugen einer völlig fahrlässigen kriminellen Führung hinrichten."
Ihre Kommandeure seien eine kriminelle Organisation, anders könne man es nicht ausdrücken, sagte ein weitere Soldat, der sich als Sergej Moldanow zu erkennen gab.
Demnach würden die Vorgesetzten ihren Truppen nicht nur mit Erschießung drohen, sondern erpressten ihre Truppen auch. Die Mitglieder der Sturmtruppen würden gezwungen, ihren Kommandeuren Geld zu zahlen. Die, die sich weigerten, würden an die Front geschickt.
Eindeutig belegen lassen sich diese Aussagen nicht. Sowohl der stern als auch der britische "Guardian" konnten aber die Identität mehrerer Soldaten unabhängig voneinander übereinstimmend bestätigen. Diese stimmen zudem mit den Berichten des britischen Verteidigungsministerium überein, das bereits im Januar erklärte, die russischen Sturmtruppen bestünden zu großen Teilen aus Veteranen, die bereits an der ersten russischen Offensive in der Ukraine 2014 beteiligt waren.
Russische Soldaten beschweren sich immer wieder über schlechte Behandlung
Das Video ist die aktuellste einer ganzen Reihe von Beschwerden, die insbesondere seit der russischen Winteroffensive, die im Januar gestartet wurde, immer wieder in sozialen Netzwerken auftauchen. Immer wieder melden sich verzweifelte Frontsoldaten zu Wort, die unter schlechter Ausrüstung und Behandlung ihrer Vorgesetzten litten.
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Auch der Vorwurf der sogenannten "Sperrtruppen" kommt nicht zum ersten Mal auf. Das britische Verteidigungsministerium erklärte bereits im vergangenen November, dass das russische Militär mit derartigen Sonderkommandos den Rückzug seiner Truppen verhindern wolle. "Die Taktik, Deserteure zu erschießen, zeugt wahrscheinlich von der geringen Qualität, der niedrigen Moral und der Disziplinlosigkeit der russischen Streitkräfte", so das Ministerium in einer damaligen Erklärung.
Kreml-Chef Putin widersprach den Berichten in einer Rede im Dezember. Zwar gebe es vereinzelt Deserteure, doch dies sei kein Massenphänomen in der russischen Armee. Viel mehr sei es die Ukraine, die durch Truppen hinter der Front ihren eigenen Soldaten "in den Rücken schießt" behauptete Putin weiter. Belege dafür nannte er nicht.
Quellen: The Guardian, Video russische Soldaten, Befehl Stalins im russischen Original