Ukraine-Konflikt Experten einig: Russland-Sanktionen haben nur begrenzte Wirkung – noch

Die Zentrale der VTB Bank in Moskau (Archivbild von 2018): Russische Banken sind von den Sanktionen wegen des Ukraine-Konflikts betroffen
Die Zentrale der VTB Bank in Moskau (Archivbild von 2018): Russische Banken sind von den Sanktionen wegen des Ukraine-Konflikts betroffen
© Christian Charisius / DPA
Bisher zielen die Sanktionen gegen Russland vor allem auf den Finanzsektor. Experten schätzen deren Wirkung als eher gering ein. Wenn es dann an den Energiesektor geht, wird es schmerzhaft – nicht nur für Russland.

Im Ukraine-Konflikt haben die westlichen Bündnispartner am Dienstag die ersten Sanktionen gegen Russland verhängt. Vorerst werden diese nach Einschätzung von Experten jedoch nur begrenzte Auswirkungen haben. Laut Berechnungen des Kiel Instituts für Weltwirtschaft (IfW Kiel) würde insbesondere ein Einfuhrembargo auf Gas die russische Wirtschaft hart treffen - bis zu 2,9 Prozent könnte die russische Wirtschaftsleistung demnach zurückgehen.

Vorerst zielen die verhängten Sanktionen auf den russischen Finanzsektor ab. Dieser Fokus entspreche der "Strategie der schrittweisen Sanktionierung, die den Energiesektor zunächst schont", sagt der auf Wirtschaftssanktionen spezialisierte Jurist der Kanzlei Ashurst, Olivier Dorgans. Eine Ausnahme sei die Entscheidung der Bundesregierung, die Zertifizierung der Gaspipeline Nord Stream 2 vorerst auszusetzen.

Sanktionen tun Russland noch nicht weh

Laut Dorgans dürften die Sanktionen, die insbesondere russische Banken ins Visier nehmen, jedoch nur einen begrenzten Effekt haben - viel russisches Kapital sei als Präventivmaßnahme bereits wieder ins Land zurückgeholt worden. Auch das Einfrieren von Vermögenswerten russischer Oligarchen sei nur begrenzt wirkungsvoll. Die Sanktionen "gehen noch nicht so weit, dass es wirklich wehtut", analysiert Dorgans. Sie seien jedoch ein "logischer Schritt mit Blick auf den Schutz europäischer Wirtschaftsinteressen".

Der Russland-Experte vom Center for Strategic and International Studies in Washington, Andrew Lohsen, warnt, dass die verhängten Sanktionen hinter den Ankündigungen von US-Präsident Joe Biden zurückbleiben. Der russische Präsident Wladimir Putin könne sich dadurch weiter ermutigt fühlen. Die Maßnahmen "werden Russland nicht dazu bringen, den Kurs zu ändern", prognostiziert Lohsen.

Importstopp von russischem Gas?

Schmerzhafter dürften für Moskau mögliche Sanktionen gegen den Energiesektor sein - denn auf den globalen Rohstoffmärkten spielt Russland laut der Ratingagentur Fitch Ratings eine "Schlüsselrolle". Sanktionen gegen den Energiesektor sind somit ein scharfes Schwert - nach Berechnungen des IfW Kiel hätte ein umfassender Importstopp von russischem Gas aller westlicher Bündnispartner einen Einbruch der russischen Wirtschaftsleistung um 2,9 Prozent zur Folge. Ein Embargo auf Erdöl würde die russische Wirtschaft um weitere 1,2 Prozent schwächen.

In der deutschen Wirtschaft herrscht indes "große Verunsicherung", heißt es aus dem Ost-Ausschuss der deutschen Wirtschaft. Insbesondere energieintensive Branchen wie der Bau, Betonwerke, die Chemiebranche sowie die Aluminium- und Stahlindustrie leiden unter den hohen Energiepreisen. Die deutsche Wirtschaft hoffe nun, dass es bei der ersten Sanktionsstufe bleibe und sich der Konflikt nicht weiter zuspitze. Die aktuelle Situation gleiche einem "Kalten Krieg 2.0". Fraglich sei auch, welche wirtschaftlichen Gegenmaßnahmen Russland ergreifen werde.

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Ukraine braucht wohl bald wirtschaftliche Unterstützung

Viel wird vom weiteren Verlauf des Konflikts abhängen, "aber in den meisten Szenarien werden sich die wirtschaftlichen Folgen für Länder außer Russland und der Ukraine in Grenzen halten", analysiert der Chefökonom bei Capital Economics, Neil Shearing. Innerhalb der EU habe beispielsweise Deutschland die stärksten wirtschaftlichen Beziehungen zu Russland - doch selbst in der Bundesrepublik gingen lediglich zwei Prozent der Exporte nach Russland. Die wirtschaftliche Situation der Ukraine sei indes "extrem fragil", warnt Shearing. Es sei wahrscheinlich, dass das Land in naher Zukunft auf zusätzliche finanzielle und wirtschaftliche Unterstützung angewiesen sei.

AFP
tkr / Marie Heuclin und Ali Bekhtaoui