Krieg in der Ukraine "Ein Rückzug unter Feuer ist absolut räudig": Deutscher Freiwilliger berichtet über seine Kampfeinsätze

Jonas Kratzenberg Freiwilliger Ukraine
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Sehen Sie im Video: Deutscher Freiwilliger berichtet von seinen Einsätzen in der Armee der Ukraine.




Jonas Kratzenberg war 282 Tage lang in der Ukraine und Teil einer internationalen Truppe, die aber von Ukrainern geführt wird. Seine Gruppe wurde für "High Speed Missionen" eingesetzt. Sie bekamen oft abends eine WhatsApp. "Dann saß man auf heißen Kohlen, es wurden die Magazine gecheckt, Wasser eingepackt."
Von dort ging es in eine Zwischenbasis, wo meist krude Befehlsausgaben gegeben habe. Auf Englisch wurde die Mission nur ein wenig runtergebrochen, dann ging es los mit gepanzerten Fahrzeugen. 1-2 Tage später war man wieder in der Basis. In der Legion war man 1 Kilometer vom Gegner entfernt, als Bodentruppe stand man sich in Klappspatenreichweite gegenüber. "Man funktioniert einfach." Sie haben den Feind auch schon mal im Schlaf überrumpelt. "Da haben wir einfach eine Kalaschnikow ins Gesicht gedrückt und gesagt: Moin, Ihr seid unsere Gefangenen." Dann wurden die Russen abgeführt. Was mit ihnen genau passiert, weiß er nicht. Vereinzelt gebe es aber auch auf ukrainischer Seite Kriegsverbrechen. Er hat auch miterlebt, wie einige von ihnen erschossen wurden.

Freiwilliger erklärt Kampfeinsatz in der Ukraine


Fast nie sei die Situation genauso gewesen, wie es ihnen vorher angekündigt wurde. Einmal wurden sie an einen Ort geschickt, an dem sich 20-30 Separatisten aufhalten sollten. Als sie ankamen, standen sie 100 Männern der Luftlandetruppe mit zwei BMD-4Panzern gegenüber. Dann müsse man improvisieren. "Ein Rückzug unter Feuer, vor allem gegen Panzerfeind, ist absolut räudig."
Die Ukraine sei nicht auf einem Nato-Standard. Es gebe sehr gut ausgebildete Einheiten. Dann treffe man in der gleichen Brigade allerdings wieder auf Soldaten, die in manchen Nato-Ländern teilweise nicht einmal die Grundausbildung schaffen würden. Das sei der hastigen Mobilisierung geschuldet. Dazu habe man Freiwilligentruppen eingegliedert. Ältere sowjetische Offiziere hätten oft ein russisches Mindset, andere jüngere Soldaten würden westlich denken. Die Ukraine ist aus seiner Perspektive sehr lernfähig und improvisationsfähig. Das betreffe flexible Entscheidungen auf dem Gefechtsfeld durch die Truppenführer. Auch Waffen z.B. MT-LBs (gepanzerten Transportfahrzeuge auf Ketten) werden umfunktioniert. "Da nageln die Ukrainer und auch die Russen so ziemlich alles drauf, was sie kriegen können." Er habe die Ukraine schon oft unterschätzt, sowohl in Charkiw als auch in Cherson. "Ich glaube, dass mit viel westlichem Support, mit viel westlichem Training, die neuen Einheiten, die jetzt aufgestellt wurden – also die man noch nicht an der Front gesehen hat - ein großes Potential haben." "Eine Sache, die uns immer Mut gegeben hat, ist die Inkompetenz der Russen, dass man weiß, auch wenn wir gerade die dämlichsten Fehler gemacht haben, die man so machen kann, dass wir trotzdem rauskommen werden, weil die Russen wahrscheinlich noch dämlicher sein werden."

Kurz nach Abzug der Russen in Butscha


Er war kurz nachdem die russischen Truppen abgerückt sind, mit seinen Kameraden in Butscha. Obwohl sich die Bilder bei ihm eingebrannt haben, sei es nicht das, was ihn nachhaltig beschäftigt. Vielmehr belasten ihn die Kämpfe an der Front. Der Stress im Gefecht, der Geruch von frischem Blut, das Schießen von Panzern, das Rauschen von Artillerie – das ist das, was ihn beschäftigt. Er hört jetzt auf sein Inneres und sucht sich Hilfe, wenn er sie braucht. Aber manchmal würden solche Dinge auch erst in 10 Jahren richtig hochkommen.


Er ist in die Ukraine gegangen, weil es ihn aufgeregt hat, dass in Deutschland zu Kriegsbeginn so wenig passiert ist. Er wollte mit seinen militärischen Fähigkeiten helfen. "Ich wollte auch kämpfen. Der Soldat will aufs Gefechtsfeld, genauso wie der Pilot ins Cockpit will."
Ein Auslöser wieder nach Deutschland zu kommen, war seine Verletzung durch Granatsplitter bei einem Drohnenangriff. Er hat immer noch Splitter im Kopf und hinter dem Auge. Seitdem ist seine Sehkraft auf einem Auge weiter eingeschränkt, blind ist er aber nicht. Er hat dabei verdammt viel Glück gehabt. Grund für die Rückkehr seien aber vielmehr seine Freunde und seine Familie gewesen. Er hat seine Freundin in der Ukraine kennengelernt. Jetzt leben sie zusammen in Deutschland. "Ich vermisse die Zeit in der Ukraine, die Zeit in der Armee." Noch einmal will er seine Familie aber nicht zurücklassen.


Nele Balgo spricht mit Jonas Kratzenberg, ehemaliger Freiwilliger in der ukrainischen Armee.
Rund neun Monate hat der Deutsche Jonas Kratzenberg gegen die russische Armee gekämpft – als Freiwilliger auf Seiten der Ukraine. Im Interview berichtet er, was er überlebt hat, warum er die Zeit in der Armee vermisst und trotzdem nicht wieder in die Ukraine möchte.
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