Die massiven Verteidigungsstellungen der russischen Streitkräfte haben die Ukrainer nach Einschätzung des Sicherheitsexperten Christian Mölling zu einem Strategiewechsel gezwungen. Mölling verwies am Dienstag im stern-Podcast "Ukraine – die Lage" darauf, dass zur Befreiung der besetzten Gebiete erhebliche Hindernisse überwunden werden müssten.
"Die Ukrainer mussten sich offensichtlich umstellen", sagte der Forschungsdirektor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Er zeigte Verständnis dafür, nun vorrangig Nachschubwege, Logistik und gegnerische Truppen fernab der Front zu bekämpfen. Mölling nahm die Ukrainer gegen Kritik in Schutz, dass ihre Gegenoffensive nicht schnell genug vorankomme. Es habe im Westen geradezu einen Überbietungswettbewerb hinsichtlich der Erwartungen gegeben. Er klagte: "Im Westen wollte man so eine Art von Versprechen haben: Ich gebe dir nur ein Drittel von dem, was du brauchst. Aber damit bist du drei Mal so schnell fertig."
Sicherheitsexperte Mölling kritisiert Bundesregierung
Der Bundesregierung hielt er vor, nicht früh genug erkannt zu haben, dass es eine Debatte um die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern geben werde. Sie hätte dies erkennen und die Lieferung kommunikativ vorbereiten müssen. Stattdessen werde wieder gezögert. "In der politischen Kommunikation müsste man die Dinge mal vorbereiten, statt immer nur hinterher zu laufen", klagte er. "Das ist schon fast realitätsfremd."
Selbst wenn noch eine Entscheidung im Sinne der Ukraine falle, komme diese auf jeden Fall zu spät. "Wie stehen wir am Ende da? Als die kleinkariertesten Krämer", sagte er. Aus Möllings Sicht agiert etwa Frankreich deutlich geschickter, indem es frühzeitig Waffen bereitstellt, was auch eine öffentliche Wirkung habe. Dies könne sogar dazu führen, dass man am Ende weniger liefern müsse, als wenn man erst als Letzter dazu bereit sei. Deutschland hätte, so Mölling weiter, die Taurus bereits zu Beginn der ukrainischen Offensive anbieten können. "Das wäre doch nicht falsch gewesen", betonte er.
Die deutsche Haltung zeige, dass nicht ausreichend bedacht worden sei, unter welchen Bedingungen die Bemühungen der Ukrainer Erfolg haben könnten. Dies müsse dringend geändert werden. Denn: "Wenn man das zu Ende denkt, ist das wirklich eine Sackgasse." Er forderte, dass die Politik nicht über die Notwendigkeit und Eignung jedes einzelnen Waffensystems entscheidet, sondern mehr auf die Militärs vertraut. "Wir haben eine total schlechte Erfahrung damit, wenn Politik versucht, militärische Entscheidungen zu bewerten", sagte er mit Blick auf Afghanistan, wo die benötigten Systeme zurückgehalten worden seien, damit nicht der Eindruck entstehe, dort herrsche Krieg.