Die ukrainischen Streitkräfte haben nach Einschätzung des Sicherheitsexperten Christian Mölling den russischen Angriffen immer weniger entgegenzusetzen. Mölling sagte am Freitag im stern-Podcast "Die Lage – international": "Die Ukrainer sind hilflos, weil wir sie hilflos gemacht haben." Der Forschungsdirektor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik sagte, die Russen würden gezielt versuchen, die ukrainische Luftabwehr zu überlasten. Dafür hätten sie mehr Raketen als zuvor zur Verfügung. Die Verteidiger stünden vor der "bitteren Frage", ob sie mit ihren begrenzten Möglichkeiten zivile Zentren schützten oder aber Stellungen an der Front. Auch bei Artilleriemunition sei die Lage "richtig schlecht". Viele Geschütze der Ukrainer könnten kaum noch eingesetzt werden. "Die sind im Grunde schutzlos der Situation ausgesetzt", sagte er über die ukrainischen Truppen. Er schloss nicht aus, dass die Ukraine in den kommenden Wochen und Monaten schwere Niederlagen erleidet und zum Beispiel die Millionenstadt Charkiw verliert.
Mölling ging zwar davon aus, dass der Westen nun weitere Flugabwehrsysteme und Munition aus seinen Arsenalen an die Ukraine abgibt – dies ändere aber nichts daran, dass der Nachschub begrenzt sei. "Da fehlt die Nachproduktion", kritisierte er. Die Partner der Ukraine hätten es versäumt, rechtzeitig und ausreichend die Herstellung von Waffen zu erhöhen.
Ukraine wird schwächer – Russland dafür stärker
Wie Mölling weiter sagte, wird die Nato die Vorgaben an ihre Mitglieder im Bereich der Luftverteidigung drastisch erhöhen, um auf künftige Bedrohungen durch Russland vorbereitet zu sein. Trotzdem sei es richtig, kurzfristig so viel Material wie möglich an die Ukraine abzugeben. Mölling rief erneut dazu auf, nicht nur Luftabwehr zu liefern, sondern auch weitreichende Systeme wie den Marschflugkörper Taurus, um Russlands Nachschubwege zu treffen. "Wir versuchen immer, die Pfeile abzuschießen, aber wir versuchen nicht, den Bogenschützen abzuschießen", kritisierte er.
Mölling erwartete, dass in den USA am Wochenende das Hilfspaket für die Ukraine den Kongress passiert. Er wertete dies als Zeichen dafür, dass der republikanische Ex-Präsident Donald Trump bereits vor seiner Nominierung für die Wahl im November die US-Außenpolitik mitbestimme – und dies, während er vor Gericht steht. "Das ist Macht", sagte Mölling. Trumps Bereitschaft, die Hilfen nicht länger zu blockieren, könne damit zusammenhängen, dass ihm seine Berater verdeutlicht hätten, was in der Ukraine auf dem Spiel stehe.