Terror und Chaos im Irak versetzen der großen Demokratie-Vision von US-Präsident George W. Bush für den gesamten Nahen Osten einen schweren Dämpfer. Nichts läuft so wie geplant, und die Regierung in Washington räumt längst ein, dass sie den Widerstand bei weitem unterschätzt hat. Doch Bush hält unbeirrt an der Vision fest: "Ich glaube, dass sich Demokratien in Weltregionen durchsetzen können, die bislang zur Tyrannei verurteilt waren", sagt er. Egal, wie unzulänglich die Wahlen im Irak auch sein mögen, Bush braucht sie als Beweis, dass der Zug Richtung Demokratie vorankommt.
"Die Aufgabe derer, die Frieden wollen, ist es, aggressiv die Freiheit zu verbreiten", sagt Bush. "Wenn die freie Welt nachgibt und die Aufständischen gewähren lässt, werden die Ursachen von Terror und Hass, nämlich die durch Tyrannei geschürte Frustration, nie ausgerottet."
Auswirkung auf die Nachbarstaaten
Mitbestimmung und Verantwortung, so Bushs Überzeugung, setzen in Menschen ungeahnte Kräfte frei. Wer sein eigenes Schicksal in die Hand nehmen kann, schafft Wohlstand und Zufriedenheit. Ein demokratischer Irak mit blühender Privatwirtschaft soll den Neid der Nachbarvölker wecken und dort die Kräfte für eine ähnliche Liberalisierung stärken.
Diese Vision ist Bush die Opfer wert, wie er betont. Mehr als 1300 US-Soldaten sind im Irak gefallen, zehntausende Menschen im Krieg und bei Anschlägen ums Leben gekommen. Der US-Präsident erinnert stets an das Fernziel und will sich von vorübergehendem Chaos nicht beirren lassen. "Ich weiß, dass es hart ist, deshalb habe ich Geduld", zeigt sich Bush unbeirrt.
Doch die Geduld geht vielen in Washington langsam aus. Noch presche keiner vor, aber in Regierungskreisen werde immer öfter über einen geordneten Rückzug nachgedacht, schreibt die "New York Times". Auch im Kongress finde die Losung immer mehr Anhänger, die Wahlen als Anfang vom Ende der amerikanischen Einmischung im Irak zu sehen. Senatoren wie der Republikaner John Warner dringen darauf, die Ausbildung der irakischen Streitkräfte voranzutreiben, um die US- Truppen möglichst bald zu reduzieren.
"Bushs Vietnam"
"Ich nehme meine Einschätzung, dass der Irak Bushs Vietnam ist, nicht zurück", sagt der demokratische Senator Ted Kennedy. "Im entscheidenden Moment des Kriegs gegen den Terror hat die Regierung sich von der Jagd auf Osama bin Laden abgewendet und eine katastrophale Entscheidung getroffen, die Amerika jetzt in einem endlosen Morast im Irak versinken lässt."
Bush bekräftigt immer wieder, dass die USA so lange bleiben, "bis der Job erledigt ist". Er meint damit einen Irak, der auf dem sicheren Weg in eine friedliche Zukunft ist. Doch die Formulierung ist vage, und deshalb wird laut "New York Times" schon an neuen Definitionen gefeilt, was denn als "erledigter Job" angesehen werden kann. Eine Aufforderung der neu gewählten irakischen Regierung, die US-Truppen möglichst bald zurückzuziehen, käme Washington vielleicht nicht ungelegen.
"Ich glaube nicht, dass sie einen Plan B haben, aber eine Variante von Plan A: an den Wahlen festhalten und das beste hoffen, und wenn das nicht klappt, sich mit dem zu begnügen was dabei herauskommt", sagte der ehemalige Irak-Spezialist im Außenministerium, Henri Barkey, der "Washington Post". "Ist es Zeit, den Irak zu verlassen?" fragt der Kommentator der "Washington Post", William Raspberry. "Durchhalten kann das, was wir zerbrochen haben, auch nicht wieder gut machen."