Die Pleite von Lehman Brothers, der Verkauf von Merrill Lynch, die Fast-Pleite des Versicherungsgiganten AIG, das Ende der Investmentbanken, dann ein astronomisch teurer Rettungsplan der Regierung. Bangen Blickes verfolgen die US-Amerikaner derzeit, wie ihr Finanz- und Wirtschaftssystem in seinen Grundfesten erschüttert wird. Einzig einen Gewinner scheint es in der Krise schon jetzt zu geben: Barack Obama. Der Präsidentschaftskandidat der Demokraten hatte in den vergangenen Wochen in den Umfragen arg an Boden verloren gegenüber seinem knorrigen Konkurrenten John McCain und dessen volksnaher Wunderwaffe Sarah Palin. Es war ein Kopf-an-Kopf-Rennen.
Kein sicheres Polster
In zwei aktuellen Umfragen ist es Obama, 47, dagegen gelungen, klar die Führung zu übernehmen. Laut einer am Mittwoch veröffentlichten Umfrage im Auftrag der Tageszeitung "Washington Post" und des Fernsehsenders "Abc News" kommt Obama auf 52 Prozent der Wählerstimmen, McCain, 72, fällt auf 42 Prozent zurück. Direkt nach den Parteitagen von Demokraten und Republikanern vor rund zwei Wochen war McCain noch auf 49 und Obama lediglich auf 47 Prozent gekommen. Der Fernsehsender CNN hatte am Dienstag eine durchschnittliche Bewertung der derzeit vorliegenden Umfragen veröffentlicht. Demnach kommt Obama auf 49 Prozent der Wählerstimmen, auf McCain entfallen 44 Prozent.
Die sprungartige Veränderung der Daten binnen der vergangenen Wochen belegen zwar, dass Obama seinen neuen Vorsprung nicht als sicheres Polster begreifen kann. Sie zeigen aber auch, dass ihm von den Wählern eine größere Kompetenz bei der Bewältigung der Finanzkrise zugeschrieben wird. Weil spätestens die turbulenten Ereignisse der vergangenen Woche belegen, dass die Finanzkrise ein, wenn nicht sogar, das Wahlkampfthema in der heißen Phase des Duells bleiben wird, darf Obama hoffen, bis zum Wahltag am 4. November auf jeden Fall ein dickes Plus auf seiner Seite zu haben. In der Umfrage von "Washington Post" und "Abc News" gaben 50 Prozent der Befragten an, die Wirtschaftslage und die Arbeitsmarktsituation seien die wichtigsten Einzelthemen, die ihr Wahlverhalten bestimmen würden. Vor zwei Wochen hatten das nur 37 Prozent behauptet. Nur 9 Prozent gaben an, der Irakkrieg sei das wichtigste Thema im Wahlkampf.
McCains offene Flanke
Die Wirtschaftskompetenz ist McCains offene Flanke. Taktisch unklug hatte er in einer Frühphase des Wahlkampfes gesagt, wenn auch nicht wörtlich, dass er kein Experte bei Wirtschaftsfragen sei. Der Vietnamkriegsveteran gilt vor allem als erfahrener Sicherheits- und Außenpolitiker. In den vergangenen Wochen hatte McCain vor allem mit seiner unkonventionell-bodenständig auftretenden Vizepräsidentschaftskandidatin Sarah Palin, der Gouverneurin von Alaska, punkten können. Der bisweilen als elitär verschriene Obama hatte der "Hockey-Mum" wenig entgegensetzen können. Nach der jüngsten Wende geht er gestärkt in die erste Fernsehdebatte mit McCain, die am Freitagabend stattfinden wird.
Laut CNN kommt Obama zugute, dass die Amerikaner die regierenden Republikaner für die Finanzkrise verantwortlich machen. Nach einer Befragung des Senders sind 47 Prozent der Befragten dieser Ansicht. Lediglich 24 Prozent sehen die Schuld eher bei den Demokraten. Wie groß die Sorge der Amerikaner vor einer umfassenden Wirtschaftskrise ist, belegt das Ergebnis der Umfrage von "Washington Post" und "Abc News". Demnach gaben lediglich 9 Prozent der Befragten an, die Wirtschaft befinde sich in einem guten oder hervorragenden Zustand. Das letzte Mal, dass dieser Indikator in einen einstelligen Prozentbereich gefallen war, war kurz vor den Wahlen 1992. Damals eroberte der Demokrat Bill Clinton das Weiße Haus. Nur 14 Prozent der Befragten gaben an, das Land bewege sich in die richtige Richtung. Das letzte Mal fiel dieser Wert im Jahr 1973 so tief.
Grundsätzlich ist bei allen nationalen Umfragen aber zu beachten, dass sie tatsächlich nur wenig Aussagekraft haben, was den tatsächlichen Wahlerfolg des jeweiligen Kandidaten betrifft. Denn entscheidend ist nicht, wie hoch der Stimmanteil an der Gesamtzahl der abgegebenen Wählerstimmen ist. Entscheidend ist, dass ein Kandidat die Mehrheit der Stimmen der Wahlmänner aus den Bundesstaaten gewinnt. Deshalb sind die Umfragen in den einzelnen Staaten ebenso von zentraler Bedeutung. In einigen besonders umkämpften Bundesstaaten liegt Obama laut CNN vorn. So führe er in Wisconsin mit 48 zu 45 Prozent vor McCain, in Pennsylvania mit 47 zu 44 Prozent, wurde am Dienstag berichtet.