US-Vorwahlkampf Obama, ein Pastor und die Rassenfrage

  • von Katja Gloger
Die rassistischen Äußerungen von Barack Obamas Ex-Pastor stürzten dessen Wahlkampf in eine Krise: War Obamas Botschaft von der Einheit zwischen Schwarz und Weiß etwa nur Show? Obama hat auf diese Anschuldigungen nun geantwortet. In einer Rede, die als "historisch", als "atemberaubend" gelobt wurde.

Es waren Videoclips wie aus dem Giftschrank eines Wahlkampfstrategen, die Anfang März auftauchten und seitdem über alle US-Fernsehsender gingen. Ein älterer, wild gestikulierender Mann in seiner Kirche, sichtlich wütend, ein Pastor, ein Amerikaner, der sein eigenes Land glühend kritisiert. "Die US-Außenpolitik ist schuld am 11. September", ruft er, "das Land wird von weißen Rassisten regiert", um schließlich zu fordern: "Gott verdamme Amerika." Unpatriotisch, rassistisch, voller Vorurteile - man könnte sie als wütende Worte eines schwarzen Pastoren verstehen, geboren noch, als Schwarze von Weißen gelyncht wurden, ein Mann, der bitterböse mit dem Rassismus in seinem eigenen Land abrechnet.

Das Problem ist nur: dieser Pastor, bis zu seiner Pensionierung Leiter der Trinity Church of Christ in Chicago, war über 20 Jahre der geistliche Vater von Barack Obama. Jener Jeremiah Wright hatte ihn getraut, seine beiden Töchter getauft. Mit wem hatte sich der Hoffnungsträger der demokratischen Partei, der mit seiner Botschaft von Einheit über alle Rassengrenzen hinweg zum Superstar wurde, da bloß eingelassen? Ist diese Botschaft der Versöhnung etwa nur Werbefassade? Und warum hatte sich Obama nicht früher von diesen Brandreden distanziert? Je öfter die Videoclips in den vergangenen Wochen gezeigt wurden, desto gefährlicher wurden sie für Barack Obama.

Wahlkampf auf Basis weißer Schuldgefühle?

Denn sie machten aus einem Präsidentschaftskandidaten, der zufällig schwarzer Hautfarbe ist, den schwarzen Präsidentschaftskandidaten Barack Obama. Einen Mann, den man vielleicht doch nur wegen seiner Hautfarbe wählen würde? Oder eben nicht wählen würde.

Auch Hillary Clinton hatte dazu beigetragen, die Rassenfrage in den Wahlkampf zu tragen: Während die wütenden Videos des Pastors über alle Kanäle flimmerten, hatte Clintons hochrangige Mitstreiterin Geraldine Ferraro Öl ins Feuer der versteckten Vorurteile gegossen, als sie sagte, dieser Obama sei überhaupt nur soweit gekommen, weil er eben ... schwarz sei. Das konservative Wall Street Journal assistierte brav: "Sein Wahlkampf basiert mehr auf der Manipulation weißer Schuldgefühle als auf Substanz." Will sagen: Barack Obama wird von Weißen nur gewählt, weil sie sich so vor der historischen Schuld der Sklaverei freikaufen können. Obama - ein Ablasshandel für kollektive Sünden?

Es sind gefährliche Tage für Barack Obama, den Spitzenkandidaten im Rennen um die Präsidentschaftskandidatur der demokratischen Partei. Sein Pastor über 20 Jahre wurde als "unamerikanisch" verdammt - und wer in diesen Strudel gerät, kann Wahlen verlieren. Schon bohrten die konservativen Kommentatoren: Warum verzichtet Obama darauf, einen kleinen Anstecker mit der US-Flagge an seinem Jackett zu tragen? Und hatte seine Frau Michelle nicht sogar davon gesprochen, dass sie eigentlich nie stolz darauf gewesen sei, Amerikanerin zu sein? Es half Obama nicht, dass er sich schon vor einem Jahr von seinem Pastor distanziert hatte. Es half nicht, dass er dessen Äußerungen als "falsch" und "aufrührerisch" " kritisierte und es half schon gar nicht, dass er eine Rede jetzt auch mal mit "God bless America" beendete.

Historische Rede Obamas

Gestern ging Barack Obama in die Offensive. Volles Risiko, aber kalkuliert. Am Freitag der vergangenen Woche hatte er begonnen, seinem Redenschreiber Teile einer Rede zu diktieren. Am Montag arbeitete er bis morgens um drei, am Dienstag bis morgens um zwei daran. Die Szene: ein Auditorium in Philadelphia, Wiege der amerikanischen Verfassung. Zufällig im Bundesstaat Pennsylvania gelegen - dort finden am 22. April die nächsten wichtigen Vorwahlen im Kampf gegen Hillary Clinton statt.

Gleich acht US-Flaggen waren hinter ihm drapiert, kein Wahlplakat zu sehen, die 200 ausgewählten Zuhörer applaudierten verhalten, und dann lieferte Barack Obama eine Grundsatzrede über Religion und Rasse in Amerika, die von verzückten Kommentatoren beider Parteien als "historisch" eingestuft wurde - sogar als eine der besten Reden seit Martin Luther King. "Atemberaubend unkonventionell" befand das Nachrichtenmagazin "Time", "eine Rede für die Geschichtsbücher."

Er sprach 45 Minuten, es war eine komplexe Rede, sie behandelte die beiden Themen, die amerikanische Politiker sonst um nahezu jeden Preis meiden wollen, und sie war so ganz anders als die verstörend verkürzenden Videoclips der Fernsehkanäle. Ganz anders auch als eine klassische Wahlkampfrede, in der jeder Absatz mit einem Angriff endet. Als ob er sich sicher sei, dass ihm die Nation 45 Minuten lang durch eines der schwierigsten Kapitel amerikanischer Geschichte folgen würde. "Er glaubt an die Fairness der Amerikaner", sagt sein oberster Stratege David Axelrod, "er glaubt daran, dass die Menschen diese wichtigen Angelegenheiten offen und ehrlich diskutieren können."

Rassismus trotz Liebe

Er war ernst, kühl, und er redete nicht drumherum, so wünscht man sich die Reden eines Politikers, der seinen Beruf ernst nimmt. "Diese Nation kann Rasse nicht ignorieren", sagt er. Erzählte von seinen eigenen Erfahrungen mit dem verdeckten Rassismus der Weißen, sogar seine eigene (weiße) Großmutter machte manchmal rassistische Bemerkungen, "die mich schaudern ließen, dabei liebt sie mich über alles in der Welt". Erzählte von der Wut und der Frustration der Schwarzen, von der immer noch täglich erlebten Diskriminierung, vom Erbe der Sklaverei, von der anderen amerikanischen Welt, in der auch sein Pastor predigte. Verdammte dessen Äußerungen - "Sie entzweien in einer Zeit, in der wir Einheit benötigen" - und zeigte zugleich Verständnis für diese andere, immer noch benachteiligte Welt: "Die Wut ist real. Sie zu verurteilen, ohne ihre Wurzeln zu kennen, verstärkt nur die gewaltigen Missverständnisse zwischen den Rassen. Ich kann meinen Pastor nicht verleugnen. Ihn zu verleugnen, hieße meine weiße Großmutter und meine schwarze Gemeinde zu verleugnen."

Und dann redete er den Schwarzen in seinem Land ins Gewissen. Mahnte sie, endlich "volle Verantwortung für das eigene Leben zu übernehmen", ermahnte Eltern, sich endlich besser um ihre Kinder zu kümmern. Zeigte Verständnis für die Probleme der weißen Arbeiter (die eher Hillary Clinton wählen als ihn), für ihre Ängste, Benachteiligungen, für ihre Wut. "Wenn wir nicht sehen, dass diese Menschen ernsthafte Anliegen haben, wird die Kluft zwischen den Rassen größer. Wir befinden uns seit Jahren in einer Sackgasse."

"Einheit über soziale Grenzen hinweg"

Es war die Blaupause für seine Botschaft der Einheit. Die gewaltigen Probleme des Landes erfordern Einheit, sagte Obama, Einheit über Hautfarbe, über soziale Schranken hinweg. "Die vergangenen Monate haben gezeigt, die Amerikaner sind hungrig nach dieser Botschaft der Einheit. Doch wenn wir uns jetzt in unsere Ecken zurückziehen, dann werden wir die Probleme wie Krankenversicherung oder Ausbildung oder Arbeitsplätze für jeden Amerikaner nicht lösen können."

Es war eine Rede, wie sie wohl nur Barack Obama halten kann. Erwachsen, mutig, er versteckte sich nicht. Doch man darf befürchten, dass er die nicht erreicht, die er erreichen muss: Im Moment sind es die (weißen) Arbeiter und die älteren Frauen, konservative Demokraten. Es sind Hillary Clintons Wähler, und sie würden nie zugeben, dass sie keinen Schwarzen wählen. Obama muss aber auch zeigen, dass er konservative Wechselwähler an sich binden kann - all die, die vor 28 Jahren aus Angst vor schwarzen Kriminellen Ronald Reagan wählten und Teil seiner "Regenbogen-Koalition" wurden. Der Vorwahlkampf wird sich noch über Wochen, vielleicht gar Monate ziehen. Er ist eine Auseinandersetzung zwischen Weiß und Schwarz geworden, zwischen Alt und Jung, zwischen Frau und Mann. Und von diesem Kampf profitiert vor allem John McCain.

Und doch - gestern eröffnete Barack Obama seinem Land eine Chance, die innere Zerrissenheit zu überwinden. Er eröffnete das Gespräch über eine der heikelsten Fragen der amerikanischen Gesellschaft. Bleibt abzuwarten, ob Amerika diese Chance ergreifen will. Aber es ist ein Anfang, meisterhaft.

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